Das gilt auch für unsere Vereine. Wir zählen die Tage und Wochen, bis wieder gesungen werden darf, bis wir uns wieder persönlich und ohne Abstandsregeln treffen können, wo wir uns wiedererkennen und nicht durch Gesichtsmasken hindurch raten müssen, wer sich dahinter verbirgt. Vor allem unsere älteren und alten Vereinsmitglieder können wieder bei uns sein in der Mitgliederversammlung, beim Konzert, beim Vereinsausflug.
Wir werden vieles, was uns bis vor einem Jahr als Selbstverständlichkeit galt und dessen Wert wir gar nicht recht zu schätzen wussten, mit Freuden entgegennehmen und bewusster damit umgehen und uns daran freuen. Eine Mitgliederversammlung, an der jeder, Alt oder Jung, persönlich teilnehmen kann, ist nicht nur eine starke Vereinfachung in der Abwicklung des Vereinslebens; sie ist auch Begegnung, deren Wert wir in den Monaten zu schätzen gelernt haben, in denen wir uns auf diese Weise nicht treffen durften. Das Singen ohne Abstand mit anschließendem gemütlichem Beisammensein wird hoffentlich schnell wieder Mittelpunkt des geselligen Lebens vieler Chöre sein.
Corona ein Thema im gesamten Jahr 2020
Fünf Mal habe ich im vergangenen Jahr in der Kolumne „kurz und bündig“ über Corona-relevante Themen berichtet. Es ging um die digitale oder virtuelle Mitgliederversammlung, um Abstandsvorschriften und Fördermöglichkeiten durch den Staat. Auch hier ein beherrschendes Thema.
Die Erfahrung mit Corona hat aber auch ihr Gutes: Wir haben gesehen und gelernt, wie schnell der Mensch, wie schnell die Gesellschaft imstande ist, sich auf solch eine fundamentale und zerstörerische, lebensgefährliche Entwicklung einzustellen. Gesetze wurden innerhalb von Wochen vom Referentenentwurf bis zur dritten Lesung im Bundestag und Verkündung im Bundesanzeiger durch den Gesetzgebungsprozess gebracht. Die Gesundheitsämter, das Robert Koch-Institut und andere Corona-relevante, in früheren Jahren eher behäbige Einrichtungen, haben blitzschnell auf die Anforderungen reagiert, welche die Pandemie mit sich brachte. Die pharmazeutische Industrie scheint innerhalb weniger Monate vollbracht zu haben, wozu sonst eine Forschungs- und Entwicklungszeit von zehn Jahren und mehr die Regel war.
Auswirkungen des zweiten Lockdowns
Viele Menschen sind – vor allem im zweiten „Lockdown“ – nicht „mitgekommen“ und auch nicht „mitgegangen“. Sie waren – sind – mit der Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit überfordert. Sie haben uns bewusst werden lassen, dass Freiheit in unserer Gesellschaft zunehmend als „Freiheit von“ und nicht mehr als „Freiheit für“ empfunden und reklamiert wird.
Das unabdingbare Gegenstück zur Freiheit, die Verantwortung, ist vielen Menschen nicht bewusst geworden, die sie für ihre Mitmenschen, Familie und Gesellschaft, in Schule und Beruf haben. Es wird offenbar, dass diese Verantwortung vielerorts schon vorher nicht empfunden wurde. Wie oft wurden die Gerichte und auch das Bundesverfassungsgericht bemüht mit dem Versuch, ungeachtet der damit verbundenen, steigenden Infektionsrisiken Veranstaltungen, Demonstrationen etc. durchzusetzen? Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG (Freiheitsgrundrecht) und das Recht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG wurden in erster Linie reklamiert und darauf hingewiesen, dass diese Grundrechte nur durch gesetzliche Bestimmungen oder aufgrund solcher Bestimmungen eingeschränkt werden dürfen. Dass hierbei eine Freiheit reklamiert wird, die unmittelbar, geradezu körperlich unmittelbar, die Freiheit des Mitmenschen, ja sogar sein Recht auf Leben und Gesundheit (in Form von Ansteckung und schwerer Erkrankung) beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann, wurde von vielen Beschwerdeführern, Querdenkern und anderen egozentrischen Zeitgenossen nicht gesehen, jedenfalls nicht berücksichtigt. Dass ihre Rechte in einer solchen Situation zurückzutreten haben und dies nur durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit begrenzt ist, mussten sie sich von den Gerichten sagen lassen.
So gesehen, hat die Pandemie einen Zustand unserer Gesellschaft entlarvt, der mit rigorosem Egoismus und fehlender Solidarität gegenüber dem Mitmenschen zur Durchsetzung des Primats der Spaßgesellschaft bezeichnet werden muss. Ich bin gespannt, ob nach Abklingen der Pandemie und Rückkehr zur „Normalität“ möglichst vielen klar wird, dass wir auf diesen Teil der bisherigen „Normalität“ zugunsten des Bewusstwerdens gern verzichten können, was wir uns gegenseitig an Solidarität und Gemeinschaft schuldig sind.
Es ist zu hoffen, dass wir diese Lehren aus der Pandemie ziehen können und dass sie im Bewusstsein möglichst aller, jedenfalls aber vieler Mitmenschen verankert werden.
Warum ist das „kurz und bündig“ wichtig?
Bitte verzeihen Sie: Das war der „unjuristischste“ Beitrag in der Kolumne „kurz und bündig“, den ich Ihnen zugemutet habe seit April 2007, als diese zum ersten Mal erschien. Es musste – muss – aber sein. Das Recht und die Verfassung können nur die „Leitplanken“ liefern, in denen sich die Mitglieder der Gesellschaft bewegen müssen, bewegen sollen. Recht und Verfassung sind in unserem Staat ausgesprochen liberal und betonen in hohem Maße die Freiheit des Einzelnen. Es wäre eine große gemeinsame Anstrengung wert, den Gesichtspunkt der Verantwortung als Gegenstück zu dem der Freiheit stärker in den gesetzlichen Normen und Handlungsanweisungen zu verankern. Der Begriff der Verantwortung darf nicht erst da anfangen, wo auch das Strafrecht anfängt.
In jeder Vereinssatzung ist geregelt, welche Rechte, aber auch welche Pflichten das einzelne Vereinsmitglied hat. Beides wird auch weitgehend im Leben unserer Vereine eingefordert und beachtet. Insofern ist der Verein Vorbild und Blaupause für unsere Gesellschaft, und das macht nicht zuletzt den besonderen Wert und die große Bedeutung unserer Vereine aus. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen ein gutes, bewusstes, solidarisches und – nicht zuletzt! – gesundes Jahr 2021.
Rechtsanwalt Christian Heieck
Weiherstraße 6, 72213 Altensteig
Telefon: 07453 1677
Telefax: 07453 9554596
Email: kanzlei@rechtsanwalt-heieck.de
Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.