Mitgliedergewinnung ist Einstellungssache: Wie ich der Verein bin, der ich sein will.
Land auf, Land ab hört man die Chöre klagen: Es fehlt an neuen Mitgliedern, die eigenen Mitglieder werden immer älter. Doch im Nachbarort scheint es das Problem gar nicht zu geben, dort hat der Chor gerade einen Aufnahmestopp ausgerufen. Woran liegen diese Unterschiede?
Eine Spurensuche
Zu Beginn meiner Seminare mache ich gerne ein kleines Vorstellungs-Spiel. „Warum sollte ich als neuer Sänger gerade bei Eurem Chor anfangen?“. Die Antworten lassen sich in zwei Gruppen teilen. Der Großteil sagt so etwas Ähnliches wie: „Wir haben das Problem, dass wir alle schon etwas älter geworden sind. Wenn wir keinen Nachwuchs finden, gibt es uns in zehn Jahren nicht mehr.“
Eine kleinere Gruppe geht einen anderen Weg: „Bei uns hast Du sicher Spaß und lernst schnell Menschen aus deiner Umgebung mit gleichen Interessen kennen. Wir unternehmen viel zusammen, gehen nach der Probe noch zusammen etwas trinken und sind öfter zusammen auf Chor-Reisen.“
Wenn Sie jetzt die Auswahl hätten, zu welcher dieser beiden Gruppen Sie (als Neuling) lieber gehen würden, welche wäre das wohl? Seien Sie sich bewusst, dass Sie selbst mit Ihrer Einstellung das Bild Ihres Chores nach außen prägen. Sie entscheiden
selbst, ob Sie von ihrem Chor als überaltertem Problemfall erzählen wollen oder als tollem Freizeit-Angebot, das für jede/n genau das Richtige bietet?
Jeder Chor hat viel zu bieten
Sie denken, Ihr Chor hätte nichts zu bieten?
Es ist wissenschaftlich belegt, dass durch gemeinsames Singen im Chor Glückshormone ausgeschüttet werden und Stress abgebaut wird. Ihr Chor ist also eine Wellness-Oase. Natürlich bieten wir auch eine musikalische Grundausbildung an. Wenn man aktiv auf seine Atmung achtet und mit dem ganzen Körper singt, hat man auch gleich noch ein Fitness-Workout mitgemacht. Und durch die große Gemeinschaft im Chor fühlt man sich auch nicht einsam, es gibt sogar Fälle in denen der Chor als Partnervermittlung funktioniert hat (auch ich habe meine Frau im Chor kennen gelernt). Zugegeben, Männerchören fällt der letzte Punkt etwas schwerer.
Ein all-in-one-Unternehmen
Ihr Chor ist also Wellness-Oase, Musikschule, Fitness-Studio und Freunde-/Partnervermittlung in einem. Wissen Sie eigentlich, was diese Angebote heutzutage kosten? Vielleicht sollten Sie mal über Ihre Mitgliedsbeiträge nachdenken.
Singen ist in und bietet so viel Gutes
Positiv kommt uns auch zu gute, dass Singen in der Gesellschaft wieder „in“ ist. Wenn wir den Fernseher einschalten, dann sehen wir tausende Menschen, die sich jedes Jahr bei „The Voice of Germany“ bewerben, „Pitch Perfect“ als Blockbuster in den Kinos oder die Fernsehserie „Glee“, in der es darum geht, einen amerikanischen Schulchor aufzubauen. Karaoke-CDs für die Playstation verkaufen sich unter jungen Leuten bestens, Youtube ist gefüllt mit Singer/Songwritern, den Idolen der Jugend von heute. Die Einstellung zum Singen ist also deutlich besser als noch vor 10 bis 20 Jahren.
Warum es dennoch nicht immer einfach ist, Mitglieder zu gewinnen
Manchmal ist es aber auch nicht ganz so einfach, neue Mitglieder für den eigenen Chor zu motivieren. Dass keine neuen Sänger*innen kommen, kann auch tiefer greifende, strukturelle Ursachen haben:
Ein wichtiges Merkmal eines Chores ist das gesungene Repertoire. Wir haben Umfragen gemacht, die zeigen, dass Chöre mit modernem Liedgut in der Regel keine Probleme bei der Nachwuchssuche haben. Chöre mit traditionellem Liedgut haben es deutlich schwerer. Mit Silchers „Ännchen von Tharau“ ist heute kaum mehr Nachwuchs zu gewinnen. Etwas besser klappt das schon mit „Barbara Ann“ von den Beach Boys oder noch besser mit Anna Kendrick’s Cup Song. Übrigens bedeutet „modernes Liedgut“ nicht unbedingt, dass es gleich Englisch sein muss. Hier ist zum Beispiel Oliver Gies zu empfehlen, der zahlreiche moderne Chor-Arrangements in deutscher Sprache geschrieben hat.
Drei wichtige Säulen des Chores
Etwas schwieriger ist das Thema bei den drei wichtigen Säulen eines Chores: Chorleitung, Chor-Management (meistens Vor-
stand) und den Singenden selbst. Manchmal ist die Chorleitung mit ein Grund dafür, dass keine neuen Mitglieder kommen
bzw. bleiben. Schauen wir doch mal auf den Fußball: was wird dort gemacht, wenn es nicht mehr so richtig läuft? Falls es auch bei Ihnen nicht mehr so richtig läuft, muss auch die unangenehme Frage erlaubt sein, ob die Chorleitung noch passt. Nicht selten hat die Einstellung einer/s neuen ChorleiterIn Wunder bewirkt. Ihr Chorverband kann hier gerne behilflich sein.
Die zweite tragende Säule ist das Chormanagement. Hier sollte darauf geachtet werden, regelmäßig frisches Blut zuzulassen, um die Interessen neuer Mitglieder zu kennen. Es muss nicht gleich ein Vorstandsamt sein, aber ein Zukunfts-Komitee kann schon manchmal etwas bewirken.
Und zu guter Letzt brauchen wir jede/n Sänger*in. Sollte sich doch mal jemand Neues in den Chor verirren, brauchen wir eine Willkommenskultur. Lassen Sie die Neuen spüren, dass sie willkommen sind. Weichen Sie zur Not auch mal die Sitzord-
nung auf. Oder vielleicht machen Sie sogar eine Gemeinschaftsaktion: zur nächsten Probe muss jede/r aktuelle Sänger*in eine neue Person mitbringen. So schnell kann sich ein Chor verdoppeln.
Neben dieser Willkommenkultur sollte man aber einen wichtigen Punkt nie vergessen. Wir brauchen in den Vereinen auch eine Wertekultur, durch die die Mitglieder den Verein wirklich als ihren Verein sehen. Das Streben nach neuen Mitsänger*innen ist wichtig, das halten der bereits aktiven Vereinsmitgliedern ist aber genauso wichtig. Sie sind nicht nur der wichtigste Werbefaktor für die Neugewinnung, sie sind vor allem das Rückgrad des Vereins. Bei allen Entscheidungen ist es also auch wichtig, die Vereinsmitglieder mitzunehmen, gute Kommunikationsstrukturen zu schaffen, die für Lob, aber auch für konstruktive Kritik offen stehen. Wie es bei einem großen Baumarkt so schön heißt: Mach es zu deinem Projekt!
Spaß am Singen, Spaß an der Gemeinschaft, Spaß an dem gemeinsam erreichten. Ein Chor, der diese innere Einstellung nach außen trägt, der schon in der ersten Chorprobe ein gutes Miteinander lebt, der kann getrost neue Mitglieder ansprechen und wird auch wissen sie zu halten.