Jeder weiß es, viele sind betroffen: Die Zahl der Chöre im Schwäbischen Chorverband, die sich abmelden und auflösen, zeigt eine steigende Tendenz. Das gilt nicht nur für die Männerchöre, sondern für die Chöre allgemein, insbesondere außerhalb der Ballungszentren.
Über die Ursachen haben wir schon oft gesprochen und geschrieben. Sie sind mit zwei Begriffen konnotiert: Überalterung und mangelnde oder fehlende Nachwuchsarbeit in Chor und Verein. Es gibt auch andere Gründe, beispielsweise einen zurückgehenden Bindungswillen vieler Chorsänger – gemeint ist die Bindung an einen Verein und die dauerhafte Mitarbeit in ihm. Hier sind wir beim Thema Projektchöre innerhalb und außerhalb eines Vereins, in denen dieser Wille, sich nur für konkrete Projekte (Konzerte, Wettbewerbe etc.) zusammenzufinden, zum Ausdruck kommt. Ich kenne Projektchöre, die weit über zehn Jahre alt sind.
Heute noch konkurrenzfähig sein
Auch die Auswirkungen der modernen Informationsgesellschaft (Smartphone, stark zunehmende Computernutzung in Freizeit und Ausbildung, dadurch zurückgehende Vermittlung von Wert und Bedeutung des Singens in der Gemeinschaft) sind hier wirksam. Ich bin sicher: Am besten lassen sich diese Werte an Kinder und Jugendliche im Verein vermitteln; Verein bedeutet Gemeinschaft, Information, Weitergabe von Liedern und Fertigkeiten in der Vereinsführung. Gute Formen der Vereinsführung bringen Jugendliche und Heranwachsende in die Vereine, starre Systeme und fehlendes Vertrauen in ihre Fähigkeiten schrecken sie ab.
Zentrale Feststellung ist deshalb nach meiner Überzeugung: die Vereine müssen in der Jugendarbeit ihre Priorität sehen, sich in dieser personell und finanziell engagieren, und sie müssen neue Wege gehen, um Kinder und Jugendliche für die Mitarbeit im Verein – alters- und generationenübergreifend! – zu interessieren. Jeder Verein sollte eine Person mit pädagogischen Fähigkeiten haben, der den Nachwuchs in den Verein integriert.
Kinder- und Jugendchöre sind in ihrer Zahl nicht rückläufig. Die Erwachsenenchöre sind es.
Ich möchte Ihnen ein paar Zahlen nennen:
Aufgelöste Vereine 2017: 22
Aufgelöste Vereine 2018: 18
Männerchöre 1984: 1.002
Männerchöre 2017: 599
Frauenchöre 1984: 248
Frauenchöre 2017: 163
Gemischte Chöre 1984: 913
Gemischte Chöre 2017: 1.152
Chöre insgesamt 1984: 2.498
Chöre insgesamt 2017: 1.914
Kinder- / Jugendchöre 1984: 335
Kinder- / Jugendchöre 2017: 707
Kinder / Jugendliche 1984: 10.425
Kinder / Jugendliche 2017: 3.613
Aus diesen Zahlen wird deutlich: Viele Erwachsenenvereine investieren zu wenig in ihre Jugendarbeit – oder sie tun es gar nicht. Die Zahl der – vor allem – Männerchöre hat sich seit 1984 nahezu halbiert; der Rückgang bei den Frauenchöre ist geringer, aber ebenfalls erheblich. Bei den gemischten Chören ist ein mäßiger Anstieg zu verzeichnen, bei den Chören insgesamt – wegen des starken Rückgangs der Männerchöre – ein Rückgang von 2.500 auf 1.900 Chöre.
Anders die Entwicklung bei den Kinder- und Jugendchören mit einer – mehr als – Verdoppelung seit 1984 und einer Zunahme der Zahl der Kinder und Jugendlichen um etwa ein Drittel.
Die Zahl der Kinder- und Jugendchöre nimmt momentan zwar zu, das hat aber noch keinen Eingang in die Entwicklung der gemischten Chöre gefunden. Die Entwicklung ist quasi „gegenläufig“. Daraus lässt sich unschwer der Schluss ziehen, dass
der Aufbau einer Kinder- und Jugendlichenarbeit in den Erwachsenenvereinen und –chören zu einer positiven Entwicklung bei den Erwachsenenchören führen würde.
Wichtige Investitionen
Leider investieren viele Erwachsenenvereine zu wenig in ihre Jugendarbeit – oder sie tun es gar nicht. Spricht man mit Vereinsvorständen, die im Zuge der Auflösung des Vereins oder einer Fusion beraten werden wollen, erfährt man immer dasselbe:
1. Es sind nicht mehr ausreichend Singstimmen vorhanden, vor allem im Tenor. Es gibt keine oder kaum Neueintritte von Chor- und Vereinsmitgliedern, die den Altersdurchschnitt nennenswert senken.
2. Vereinsvermögen ist noch – teilweise reichlich – vorhanden; es wird aber nicht für Maßnahmen der Nachwuchsförderung (Anstellung eines neuen, jungen Chorleiters, Werbemaßnahmen für die Gewinnung junger Sänger etc.) verwendet.
Maßnahmen zur Nachwuchsarbeit
Die Chorjugend und das Präsidium des SCV wissen schon lange um diese Situation. Deshalb gab es vor 20 Jahren und seither immer wieder Angebote für Vereine wie Beratungshilfemaßnahmen, z. B. als Chorchoaching, Erstattung von Teilnahmegebühren an Wettbewerben, spezielle Weiterbildungsmaßnahmen und vieles mehr. Das fiel auch teilweise auf fruchtbaren Boden, allerdings vor allem dort, wo ohnehin Jugendarbeit gemacht und gefördert wird. In vielen Vereinen, deren Mitglieder viele Jahre miteinander gesungen haben, die also miteinander älter geworden sind, bleibt
die Reaktion auf solche Bemühungen häufig aus. Dabei sind sie gerade für diese Chöre und Vereine gedacht und gemacht.
Es geht bei allen Maßnahmen natürlich auch um die Finanzierung. Schon 2005 haben deshalb der damalige Schwäbische Sängerbund und seine Chorjugend die „Stiftung Jugendarbeit im Schwäbischen Chorverband“ gegründet.
Diese Stiftung ist keine selbstständige, rechtlich unabhängige Einrichtung, sondern eine Stiftung des Schwäbischen Chorverbandes. Der Satzungszweck ist, Maßnahmen der Nachwuchsarbeit in den Chören und Vereinen des SCV zu initiieren, zu fördern und zu finanzieren. Der Vorstand besteht aus dem Vorsitzenden der Chorjugend, einem Mitglied des Präsidiums und dem Schatzmeister des SCV.
Die Zuwendungen für die Stiftung sollen vor allem aus Liquidationsmitteln sich auflösender Vereine kommen.
Um die Stiftung im Falle einer Vereinsauflösung zu bedenken, muss der Verein im Zuge seines Auflösungsbeschlusses seine Satzung ändern und als Empfänger des Liquidationsvermögens die Stiftung „Jugendarbeit im Schwäbischen Chorverband“ bestimmen.
Die Satzungsänderung kann wie folgt lauten:
„Tagesordnungspunkt: Satzungsänderung
Betrifft: Änderung der Satzungsregelung über die Verwendung des Liquidationsvermögens im Zuge der Auflösung des Vereins
§ … der Satzung wird wie folgt geändert:
Im Falle der Auflösung des Vereins wird das nach Abzug aller Verbindlichkeiten und Kosten verbleibende Liquidationsvermögen der Stiftung „Jugendarbeit im Schwäbischen
Chorverband“ zugewendet.“
Dieser Beschluss kann jederzeit in einer Mitgliederversammlung unter satzungsgemäßer Ankündigung und Einladung von der Mitgliederversammlung getroffen werden. Auch dann, wenn die Auflösung des Vereins noch nicht unmittelbar bevor-
steht. Sie kann aber auch in der die Auflösung des Vereins beschließenden Mitgliederversammlung beschlossen werden.
Das Vermögen soll dem Singen zu Gute kommen
Die bisher in der Satzung vorgesehenen Empfänger (nicht selten die Gemeinden, in denen der Verein tätig ist) werden sicher für diese Satzungsänderung Verständnis haben. Ihnen wird es sicher auch wichtig sein, dass das Vereinsvermögen dem Singen in der Gemeinde zugutekommt. Nur: Einen Gesangverein kann die Gemeinde nicht gründen. Eine Regelung, wonach das Vereinsvermögen der Gemeinde übertragen wird mit der Weisung, es über eine bestimmte Zeitdauer aufzubewahren, um es einem sich ggf. neu gründenden Gesangverein zu übertragen, ist rechtlich unzulässig und im Übrigen unsinnig. Eigentlich darf eine Gemeinde eine solche Zuwendung gar nicht annehmen, wenn sie die Weisung (Verwendung im Zusammenhang mit der Neugründung eines Gesangvereins) gar nicht erfüllen kann, und der Verein kann die Erfüllung der Weisung nicht kontrollieren, da er nach der Auflösung nicht mehr existiert.
Es muss mehr geschehen
Über die Jahre hat die Stiftung „Jugendarbeit im Schwäbischen Chorverband“ einiges an Zuwendungen eingenommen und für Jugendarbeit und für die Förderung von Jugendarbeit in den Vereinen ausgegeben. Trotzdem hat die Stiftung viel zu wenig Geld, um flächendeckend eine nachhaltige Jugendarbeit voranzubringen.
Die Satzungsänderung ist im Übrigen nicht nur dann sinnvoll, wenn ein Verein sich auflösen möchte, sondern auch dann, wenn im erheblichen Umfang Vereinsvermögen vorhanden ist, welches möglicherweise die Grenzen der zulässigen Rücklagenbildung in § 58 der Abgabenordnung (AO) übersteigt. Das kommt gar nicht so selten vor. Die Bildung von Rücklagen, die der Bestimmung in § 58 AO nicht entsprechen, kann nämlich zur Entziehung der Gemeinnützigkeit führen, weil der Verein gehalten ist, die ihm zugewendeten Mittel zeitnah für die Erfüllung seiner satzungsgemäßen Zwecke zu verwenden. Er ist ein Verein und keine Bank.
SCV und die Chorjugend im SCV starten eine neue, gemeinsame Initiative für Maßnahmen zur Förderung der Nachwuchsarbeit vor allem in den Vereinen, die bisher keine Jugendarbeit praktiziert haben, daran aber interessiert und dazu bereit sind.
Wir beraten gerne
Bei Beratungsbedarf in diesem Zusammenhang steht der SCV für Beratungen und Auskünfte jederzeit zur Verfügung, ebenso ich im Rahmen der kostenlosen Erstberatung. Machen Sie von diesen Angeboten – und machen Sie von der Möglichkeit, aktiv und/oder passiv an der Intensivierung der Nachwuchsarbeit im SCV mitzuwirken – nachhaltig Gebrauch!
Was ist Nachwuchsarbeit?
Nachwuchsarbeit ist ein strategischer Prozess, der vom Vereinsvorstand gesteuert und vom gesamten Verein gestaltet wird. Nachwuchsarbeit ist für den Schwäbischen Chorverband nicht nur die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, sondern kann alle Generationen umfassen. Es geht darum, Noch-Nicht-Sänger für den Chor zu begeistern. Die Arbeit liegt vor allem in der Verantwortung des Jugendleiters, den jeder Verein haben sollte, egal, ob er einen Kinder-und/oder Jugendchor hat.
Zum Verfasser:
Rechtsanwalt Christian Heieck
Weiherstraße 6, 72213 Altensteig
Telefon: 07453 1677
Telefax: 07453 9554596
Email: kanzlei@rechtsanwalt-heieck.de
Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.