Für die meisten Chöre bedeuten die geltenden Bestimmungen in der Corona-Zeit eine nie dagewesene Herausforderung. Neben berechtigten Bedenken um die Zukunft und die Mitglieder macht sich auch Unsicherheit und Ratlosigkeit breit, insbesondere in den Möglichkeiten und bei der Umsetzung eines Probenbetriebs. Schnell kommt hier die Online-Probe ins Gespräch. Doch was kann diese? Was ist möglich? Wo liegen die Grenzen und ist die Online-Probe ein wirklicher Ersatz?
Möglichkeiten ausloten
ChorleiterInnen hatten in den vergangenen Wochen immer wieder die Möglichkeit, sich im Rahmen von Webinaren weiterzubilden und zu informieren. Diese wurden über Verbände wie den Bayerischen Sängerbund, oder den Schwäbischen Chorverband mit erfahrenen DozentInnen wie Franny Fuchs und Prof. Robert Göstl angeboten. Doch was ist nun die Quintessenz daraus und was kann dies für die Zukunft bedeuten?
Plattformen für Online-Proben
Angebote zum digitalen Zusammentreffen in Gruppen gibt es viele. Sie haben in der jüngsten Zeit einen regelrechten Boom erfahren. WebEx, Skype, Jitsi, Zoom sind nur ein paar Namen unterschiedlicher Anbieter. Einige haben oder hatten ihre technischen Möglichkeiten in der Corona-Zeit für die kostenfreie Nutzung sogar zeitweise erweitert oder geöffnet. Nach vielem Abwägen von Vor- und Nachteilen war man sich im musischen Fachbereich jedoch einig, dass die Plattform Zoom für die Anforderungen von Online-Chorproben am geeignetsten sei. Zoom bietet eine vergleichsweise gute Audioqualität sowie -einstellungen und bleibt auch mit vielen TeilnehmerInnen stabil. Doch unterliegen diese logischerweise der Leistungsfähigkeit jedes/r TeilnehmerIn. Wenn die Verbindung jedoch steht, lässt sich das Programm recht intuitiv bedienen und/oder mit wenig Aufwand erlernen, was für technisch weniger versierte SängerInnen nicht irrelevant ist, da diese sich am Ende gleichermaßen auf das Singen konzentrieren und freuen sollen.
Positiv ist außerdem, dass sich nicht jede/r TeilnehmerIn bei Zoom registrieren muss, um am Geschehen teilnehmen zu können. Es braucht lediglich einen „Host“ (meist die Chorleitung), um die Plattform für den Chor einzurichten. Alle anderen müssen sich zwar die App runterladen, gelangen dann jedoch durch Zugangsdaten in das Meeting. Ein weiterer Vorteil ist, dass sich SängerInnen nicht nur per Internet ein-
wählen können. Auch die Teilnahme über Telefon ist möglich, auch wenn dadurch die visualisierte Teilhabe ausfällt. Weitere Flexibilität schafft Zoom dadurch, dass nahezu alle Endgeräte (Laptop, Computer, Tablet, Handy, Telefon) eingebunden werden können. Hierbei ist lediglich zu beachten, dass sich Anwendungen unterschiedlich bedienen lassen. Einige weitere Punkte sind für alle Teilnehmenden wichtig. Zoom stand vor allem zu Beginn der Corona-Zeit unter großer Kritik in Bezug auf den Datenschutz. Über diesen sollte sich im Vorfeld informiert werden. Um hier keine Gefahr einzugehen, werden folgende Hinweise gegeben:
- Zoom arbeitet stetig an der Verbesserung von Funktionalität, Möglichkeiten und vor allem im Bereich des Datenschutzes.
- Unter www.datenschutz-guru.de/zoom-ist-keine-datenschleuder/ können zu vielen Fragen Antworten eingeholt werden.
- Wird ein Meeting über einen kostenpflichtigen Zugang aufgebaut, befindet sich der Server in Deutschland und unterliegt damit den deutschen Datenschutzrichtlinien.
- Um die Chorleitung und den Verein abzusichern und den Informationsfluss zu den SängerInnen zu gewährleisten, empfiehlt es sich ggf. im Vorfeld von den SängerInnen (vor allem von den rechtlichen VertreterInnen von Schutzbefohlenen) eine Datenschutzerklärung unterzeichnen zu lassen.
- Über kleinere Einstellungen (Hintergrundbild verändern, Kamera ggf. ausschalten, etc.) kann man ein wenig vorbeugen.
Was ist möglich – was nicht?
Für eine erste Online-Probe ist nicht viel nötig:
- stabile und gute Internet-Verbindung (für SängerInnen auch Telefon möglich)
- ein geeignetes Endgerät Piano für die Chorleitung
- ein wenig Platz und Ruhe (angenehme Ungestörtheit) bei sich zu Hause
Schon kann es losgehen!
Die technischen Möglichkeiten und das tonale Endergebnis lassen sich durch externe Mikrofone, Kopfhörer oder einen Piano-Anschluss über separaten Zugang optimieren. Die Grundmöglichkeiten von Zoom bieten aber bereits eine solide, brauchbare Qualität.
Das Proben über ein technisches Medium bietet zu den gewohnten Proben-Methoden weitere Möglichkeiten:
Den SängerInnen können Medien (akustisch und visuell) zeitgleich vorgestellt werden. So können mit Bildern Anregungen für die Stimmbildung gegeben, Aufnahmen als Beispiel für die Klangvorstellung oder Motivation für das Endergebnis präsentiert, Ideen mit allen SängerInnen gemeinsam z. B. auf einem virtuellen Flipchart zusammen getragen werden etc. (Alle können hören, sehen und lesen!) SängerInnen können zu jeder Zeit über Emojis und einen Chat um Feedback gebeten und eingebunden werden (den Daumen nach unten gibt es hierbei nicht). Diese Funktionen kann der Host zu- oder abschalten. Es können Notensatzprogramme eingebunden werden und zum Abspielen (von einzelnen Stimmen), Visualisieren und zur theoretischen Erarbeitung von Musik genutzt werden. SängerInnen können in kleinere Gruppen eingeteilt und in virtuelle Räume geschickt werden. So sind Gruppenarbeiten und Stimmproben zeitgleich möglich. Die Probeneinheiten können ganz oder teilweise mitgeschnitten werden, sodass man sich im Nachhinein die Inhalte in Erinnerung rufen kann oder SängerInnen, die nicht teilnehmen konnten, gearbeitete Passagen selbstständig nachholen können. (Hierbei ist der Datenschutz zu beachten – s.u.)
Doch bei allem Zugewinn müssen auch Abstriche gemacht werden. Das wohl größte Problem von Online-Proben ist die auf verschiedenen Ebenen entstehende Latenzzeit bei der Übertragung. Dies macht das zeitgleiche Singen und Hören der anderen Stimmen unmöglich. Da viele Plattformen wie Zoom nicht für die musikalische Verwendung, sondern die Realisierung von (gesprochenen) Meetings produziert wurden, entscheidet das Programm zudem automatisch, welche/r TeilnehmerIn gerade HauptrednerIn ist. Die anderen Mikrofone werden in diesem Moment runtergeregelt. Deshalb, und um störende Hintergrundgeräusche und Rückkopplungen zu vermeiden, lautet eine Grundregel für Online-Proben, dass lediglich die Leitung ihr Mikrofon einschaltet (Der Host kann dies für alle TeilnehmerInnen steuern). Daraus ergibt sich eine Art Einbahnstraße: Die Chorleitung gibt Anweisungen, Hinweise und stellt Aufgaben, die jeder für sich umsetzt. Sie kann jedoch das Ergebnis nicht hören bzw. direkt darauf reagieren. Um einen kurzen Moment der Mehrstimmigkeit zu hören, könnten die Mikrofone bei gehaltenen Akkorden kurz geöffnet werden. Wollte man dies jedoch mit einem metrischen und rhythmischen Ablauf verbinden, würde es zwar amüsant, aber ineffizient.
An diesen Umstand müssen sich SängerInnen und Leitung gleichermaßen gewöhnen und sich auf diese Situation mit etwas Zeit und Geduld einspielen. Darüber hinaus sollte die Leitung folgendes beachten:
- Die Vorbereitung auf die Proben sollte möglichst genau sein, da die spontane Kommunikation und Interaktion mit den SängerInnen erschwert ist.
- Ansagen und Aufträge müssen genau, gut verständlich und in der Regel kleinschrittiger formuliert werden (durch gezielte Rückmeldungen (z. B. Emojis) rückversichern)
- Die SängerInnen benötigen eine Form der Führung (Klavier, Mitsingen, Dirigat). Diese Formen können jedoch u. U. nicht zeitgleich erfolgen (Latenzzeiten).
- Rhetorik und Sprache sollten sich an die Situation anpassen (z. B. Wie und was lobe ich, wenn ich doch gar nichts gehört habe?)
- Allein durch Worte und das eigene Vorsingen muss den SängerInnen ermöglicht werden, eine Klangvorstellung zu entwickeln, mit der sie sich selbst reflektieren können.
Eigenes Engagement gefragt
In Einführungsseminaren, wie oben genannt, oder zahlreichen Tutorials im Netz kann jeder sich die Grundlagen mit überschaubarem Zeitaufwand aneignen. Es empfiehlt sich jedoch, unbedingt vor der ersten Online-Probe die technischen Gegebenheiten auszutesten (Wie ist die Übertragung? Wie muss die Kamera stehen? Wie erziele ich die beste Klangübertragung? Ist die Raumbelichtung ausreichend? Funktionieren alle benötigten Anwendungen?). Dem Vertrautmachen mit der Technik sollte zu Beginn etwas Raum gegeben werden, damit anschließend die Zeit zum Proben genutzt werden kann. Nach dem Sammeln einiger Erfahrungswerte, könnte ein Coaching (für den Chorleiter oder auch mit dem gesamten Chor) zur Optimierung herangezogen werden.
Lohnen Online-Proben dann eigentlich?
Sicher ist, dass Online-Proben die reguläre Arbeit mit physischer Präsenz nicht ersetzen können. Auch ist es technisch sicherlich nicht möglich auf alle Dimensionen, die Musik bietet und benötigt, einzugehen. Wer diesen Anspruch hat, wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit enttäuscht sein. Verlegen wir allerdings unsere Prioritäten auf die Vorteile, so können Online-Proben auch nach der Corona-Zeit eine Bereicherung für den Probenbetrieb sein:
- Kontakte können über Entfernungen hinweg gehalten werden. Ein Austausch unter den SängerInnen ist möglich und erhält und/oder fördert die soziale Gemeinschaft.
- Es ist wichtig, dass die Stimme regelmäßig in Bewegung und im Training bleibt. Gerade das ist das Hauptargument für ChorleiterInnen in Bezug auf regelmäßige Probenteilnahmen. Wir würden uns also selbst widersprechen, würden wir in Zeiten wie diesen nicht auf Alternativen zurückgreifen.
- Es ist möglich auf diesem Weg das Chorrepertoire zu pflegen und in gewissem Maße zu erweitern, wenn auch in eingeschränkter Weise.
- Auf diese Art kann ein Angebot geschaffen werden, wodurch SängerInnen ihrem Hobby weiterhin nachgehen können und Fachkräfte die Probenzeit abrechnen können.
- Die musikalischen, sängerischen und chorleiterischen Fähigkeiten können gestärkt werden. allein dadurch z.B., dass jeder für sich singen muss und die eigene Stimme deutlich wahrnimmt.
Ob Online-Proben nach dieser Zeit einen konkreten Effekt haben werden, wird sich sicherlich zeitnah zeigen – dazu fehlen derzeit noch die Erfahrungen.
Mit diesem Artikel sollte Ihnen ein kleiner Ein- und Überblick verschafft werden. Für weitere Fragen können Sie Ihre Chorverbände um Unterstützung bitten. Viel Freude bei Ihren Online-Proben!