Als Mitglied im Vorstand eines Vereins hat man viele Aufgaben und Pflichten. Heutzutage gehören auch viele gesetzliche Vorgaben dazu. In diesem zweiteiligen Artikel geht es um die Haftung des Vorstandes. Lesen Sie den ersten Teil dieses Artikels in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift SINGEN nach.
III. Kontroll- und Überwachungsverschulden
In jedem Seminar, in jedem Vortrag über Haftungsfragen spielt allerdings auch der Gesichtspunkt des Kontroll- oder Überwachungsverschuldens eine Rolle. Das hängt damit zusammen, dass Vorstände heutzutage nahezu ausschließlich Kollegialorgane sind, deren Mitglieder sich ihre Aufgaben teilen und bestimmte Funktionen als Vorstandsämter übernehmen. Oder: Der Verein hat einen oder mehrere Geschäftsführer, die Angestellte des Vereins sind und gegen Entgelt arbeiten.
Sorgfalt ist Voraussetzung und selbstverständlich
Selbstverständlich ist, dass ein Vorstandsamt die Anforderung an seinen Inhaber stellt, seine Aufgabe sorgfältig und nach bestem Wissen und Gewissen zu erledigen. Fehler sind allerdings menschlich und kommen vor. Wenn dann die Überwachung und Kontrolle der Vorstandsmitglieder eines Vereins funktioniert (zum Wohle aller!), dann können Fehler rechtzeitig entdeckt und behoben werden. Das setzt selbstverständlich eine aufmerksame Kontrolle und Überwachung voraus, aber auch eine Organisation, die diese Kontrolle auch tatsächlich ermöglicht, an der also die einzelnen Vorstandsmitglieder „gar nicht vorbeikommen“. Diese Organisation schuldet der Vorstand dem Verein – und jedes Vorstandsmitglied sich selbst!
IV. Inanspruchnahme des Vorstands
Nun hat in einem jüngst veröffentlichten Fall – diese Fälle sind ausgesprochen selten! – das Verwaltungsgericht Bremen (VG Bremen 22.03.2018, 5 K 343/17) zur Frage der Haftung eines Vorstandes Stellung genommen – und, um das Ergebnis vorwegzunehmen, es hat die Inanspruchnahme des Vorstandes in diesem Fall abgelehnt.
Was war geschehen?
Ein (großer) Verein mit zahlreichen Projekten, für die öffentliche Förderung beantragt und gewährt wurde, beschäftigte einen (besoldeten) Geschäftsführer. Dieser – ich kürze stark ab – vernachlässigte – und verschleierte – die Buchführung und Buchhaltung des Vereins und gab beauftragten Dienstleistern (Rechtsanwälten, Steuerberatern) unzutreffende Auskünfte. Er schaffte in größerem Umfang eingenommene Fördergelder beiseite und verbrauchte sie für sich. Daneben beschäftigte er – vom Vorstand nicht bemerkt und nach Auffassung des VG Bremen auch nicht bemerkbar – seine Ehefrau gegen Gehalt.
Was waren die Konsequenzen
Der Vorstand wusste von all dem nichts. Nun war natürlich die Frage – und die Verwaltungs- und die Widerspruchsbehörde machten sich diesen Standpunkt auch zu eigen -, ob dem Vorstand nicht der Vorwurf gemacht werden müsse, seine Überwachungspflicht gegenüber dem Geschäftsführer und dessen Buchhaltungstätigkeit verletzt zu haben. Dann nämlich wäre die Abwehr einer Inanspruchnahme durch das Vorstandsmitglied ein Missbrauch der Rechtsfigur des Vereins und des Vorrangs der Haftung des Vereins (§ 31 BGB)
vor seinen Vorstandsmitgliedern.
Das Verwaltungsgericht Bremen – ich kürze abermals stark ab – stellte fest, dass in diesem Fall eine Verletzung der Überwachungs- und Kontrollpflicht gegenüber dem Geschäftsführer nicht gegeben gewesen sei; eine unzureichende Organisation der Buchführung und unzureichende Überwachung des eingesetzten Geschäftsführers für sich betrachtet stelle noch kein rechtsmissbräuchliches Vorgehen dar und erlaube deshalb den Durchgriff auf das einzelne Vorstandsmitglied nicht.
Die Abgabenordnung stützt das Vorgehen
Eine ähnliche Konstruktion finden wir in § 69 der Abgabenordnung (AO), wo nur die vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung von Steuerpflichten zur persönlichen Inanspruchnahme führt. (Freilich sieht die Finanzverwaltung in nahezu jedem Fall der Verletzung von Steuerpflichten zumindest den Tatbestand der groben Fahrlässigkeit als erfüllt an.)
Wenn also der Geschäftsführer – das Gleiche würde für ein mit speziellen Aufgaben betrautes Vorstandsmitglied gelten – seine untreuen Handlungen (Beschäftigung der eigenen Ehefrau, Beiseiteschaffen von Geld zur eigenen Verwendung etc.) vor den Augen der übrigen, kontrollpflichtigen Vorstandsmitglieder verbirgt, dann muss sich der Vorstand, der die Untreuehandlungen des Geschäftsführers oder anderen Vorstandsmitglieds nicht bemerkt, jedenfalls dann eine Verletzung der Organisations- und Kontrollpflicht nicht entgegenhalten lassen, wenn er jedenfalls ein „Normal- oder Mittelmaß“ an Kontrolle und Nachfrage an den Tag gelegt hat. Dann ist jedenfalls die Grenze zwischen (sanktionsloser) einfacher Fahrlässigkeit und grober Fahrlässigkeit (und damit Missbrauch des Trennungsprinzips) noch nicht überschritten.
Kenntnis ändert den Fall
Nimmt allerdings ein Vorstand die Untreuehandlungen eines anderen oder eines Geschäftsführers zur Kenntnis und lässt sie aus Gleichgültigkeit oder aus anderen Gründen geschehen, und nimmt also die Benachteiligung des Vereins „billigend“ in Kauf, dann ist die Grenze zur groben Fahrlässigkeit selbstverständlich überschritten und ein solches Vorstandsmitglied muss auch gewärtigen, bei einem solchen Fall der „Untreue-Kumpanei“ auch strafrechtlich (Beihilfe, Mittäterschaft, § 25 StGB) in Anspruch genommen zu werden. Das ist aber sicher jedem einleuchtend, da ein solches Handeln eine wissentliche und damit rechtsmissbräuchliche Schädigung des eigenen Vereins darstellt.
Der lautere Vorstand, dem – möglicherweise aus mangelnder Erfahrung oder Arglosigkeit – das untreue Handeln verborgen bleibt, kann demgegenüber nicht in Haftung genommen werden.
Die Rechtsprechung bestätigt das Urteil
Auch die Rechtsprechung hat also im Ergebnis mit dieser Entscheidung des VG Bremen zu einer Haftungsentspannung bei den Vorstandsmitgliedern beigetragen. Ein Grund mehr, ein Vorstandsamt nicht aus Risikogründen abzulehnen.
An dieser Stelle sei noch einmal an die kostenlose Beratungshotline des Schwäbischen Chorverbandes erinnert, die selbstverständlich auch im Falle drohender Haftungsinanspruchnahme oder Unsicherheiten auf diesem Gebiet in Anspruch genommen werden kann. Machen Sie davon Gebrauch!
Zum Verfasser:
Rechtsanwalt Christian Heieck
Weiherstraße 6, 72213 Altensteig
Telefon: 07453 1677
Telefax: 07453 9554596
Email: kanzlei@rechtsanwalt-heieck.de
Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.