100 Jahre SINGEN, 100 Jahre Artikel, Berichte und Meldungen
Liebe Leserinnen, liebe Leser, die meisten von Ihnen werden sich noch erinnern, als Wolfgang Layer Redakteur dieser Zeitschrift war. Manche auch noch an dessen Vorgänger, Walter und Christine Gropper. Aber kennen Sie Peter Tränklein, Werner Zintgraf, Wolfgang Wallishauser oder gar Ernst Bezler? Wahrscheinlich nicht, denn es sind zwar ehemalige Redakteure, aber zu einer Zeit, als der Großteil unserer Leserschaft gerade erst mit ihrer Musikkarriere begann oder noch gar nicht geboren war. Ich möchte Sie in diesem Artikel mitnehmen auf eine kleine Reise durch das letzte Jahrhundert.
Auflisten der Vergangenheit
Zum hundertjährigen Jubiläum wurde die SINGEN nämlich in ihrer Vergangenheit von mir aufgearbeitet. Dies geschah durch eine Katalogisierung sämtlicher Zeitschriften ab 1921. Diesen Katalog können Sie sich als eine große Excel-Tabelle vorstellen. Jede Kachel der Tabelle hat das Muster Titel – Autor – Seite. Die entsprechenden Nutzer der Tabelle können dann ein beliebiges Schlagwort eingeben und erhalten somit alle Artikel oder Ereignisse, die mit diesem Thema zu tun hatten. Seien es Biographien bedeutender Komponisten, spezifische Themen wie Jugendarbeit, Chorwettbewerbe, Repertoire oder auch Gesangstechnik. Ein Beispiel: Von großer Bedeutung für den Schwäbischen Chorverband war und ist der Komponist Friedrich Silcher. Geben Sie nun das Stichwort Silcher in die Suchzeile, erhalten Sie 462 Ergebnisse: Alles Themen über Silcher, sein Leben, das Silcher-Museum, seine Kompositionen usw. Sogar ganze Monatsausgaben wurden ihm gewidmet. Was in den letzten hundert Jahren alles passiert ist, kann man sicher nicht in einem Artikel zusammenfassen, jedoch möchte ich Ihnen ein paar Highlights präsentieren.
Unterschiedliche Themen, unterschiedliche Layouts
Den wohl größten Unterschied zur SINGEN heute finden Sie in den 20ern schon rein optisch im Schriftbild, das bis in die 40er Jahre beibehalten werden sollte. Eines der wichtigsten Themen waren die Sängerfeste. Die Teilnahme wurde stets für jeden Chorsänger vorausgesetzt und war von nationaler Wichtigkeit. Ich schreibe bewusst Chorsänger, denn der Schwäbische Sängerbund (SSB) war vor 100 Jahren eine reine Männerdomäne. Mehrere Artikel und Kommentare zeigen zudem, dass es Diskussionen über die Aufnahme von Frauen- und gemischten Chören in den SSB gab, woraus zunächst aber nichts wurde. Der Stellenwert der Kulturszene lässt sich als wesentlich populärer als heute beschreiben. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Unterhaltungsmedien wie Fernsehen und Internet nicht gegeben waren und der Rundfunk noch in den Kinderschuhen steckte. Liederabende, Konzerte und andere Veranstaltungen prägten die Freizeitgestaltung. Mein persönliches Highlight dieser Zeit bildet ein sehr umfangreicher, vierseitiger Artikel über Gesangstechnik aus der Jubiläumsausgabe 1925 von Jan Koetsier-Müller, einem Opernsänger. In dieser Größenordnung werden Sie heute kaum noch solche Themen in kleineren Zeitschriften finden.
In den 30er Jahren wurde die Schwäbische Sängerzeitung (SSZ) schon bald wie alle Medien von den Nationalsozialisten gleichgeschaltet und als Propagandamittel genutzt. So heißt es etwa in der Oktoberausgabe 1939 über die Programmgestaltung des deutschen Musiklebens, die Musik soll das Volk erheben und seelische Kräfte stärken. Werke, die dem nationalen Empfinden entgegenstehen dürfen nicht aufgeführt werden. Der Gleichschaltung, Zensur und dem Krieg ist es allerdings auch geschuldet, dass in diesen Jahren teilweise große Lücken im Archiv sind. Die Jahre 1941 bis 1946 fehlen komplett.
Mit dem Ende des Krieges wurden am 8. Mai 1945 deutschlandweit alle Vereine für aufgelöst erklärt. Schon im Juli 1945 wurde allerdings der Württembergische Sängerbund neugegründet. Aufgrund der Armut blieben die Beitragsblätter zunächst sehr spärlich. Auch Jugendchöre sollten neu gegründet werden. Bis diese allerdings ihren großen Aufschwung und die angemessene Unterstützung bekamen, sollte es noch ein paar Jahrzehnte dauern. Ab den 1950er Jahren gab es eine erste Chormesse für neuere Musik, die Neue Chormusik Ludwigsburg. Hier wurde von diversen Chören unterschiedliches Repertoire vorgetragen, Nachahmung dringend empfohlen. Gleichzeitig kamen immer wieder Diskussionen auf, wie die Zuhörer zu dieser neuen Musik ständen. Schönberg ist schließlich etwas anderes als Beethoven, aber es ist Musik. Ebenso trat in dieser Zeit das Radio in den Vordergrund. Auf Seite 4 jeder neueren SINGEN finden Sie stets das Programm der Sendung Vocals on Air. Der Vorreiter, die Stunde des Chorgesangs etablierte sich ab 1950 fest im Programm des SDR.
1952 gingen Verlag und Schriftleitung zu Wolfgang Wallishauser über, wegen finanzieller Schwierigkeiten des Vorgängers. Die SSZ konnte also weitergeführt werden. Mit den 50er/60er Jahren betreten wir ebenfalls die Ära Hugo Herrmann. Seit den 20er Jahren bereits Komponist, Chorleiter, Musikpädagoge und nun auch Bundeschormeister. So prägend, dass das höchste Chorleiterseminar C3 viele Jahre nach ihm benannt wurde. Zusätzlich arbeitete man mit der Harmonikafabrik Hohner in Trossingen zusammen. Das Musikwesen bekam einen ganz neuen Aufschwung. Mit der Zeit wurden internationale Kontakte immer populärer. Partnerstädte und Partnerchöre wurden besonders von Jugendchören aufgesucht. In den 70er Jahren gründeten sich „Junge Chöre“, die sich von den klassischen Gesangsvereinen abgrenzten und stattdessen moderneres Repertoire wie Unterhaltungs- und Popmusik oder Folklore bevorzugten. Auch wurde die Frage nach einem neuen Volkslied gestellt und es wurden moderne Liedermacher wie Reinhard Mey vorgestellt.
Immer am Puls der Zeit bleiben
Mit dem Ehepaar Gropper bekam die SSZ ab 1979 ein neues Gesicht, neue Inhalte, neue Kategorien und ein spezieller Fokus für die Jugendarbeit, da Nachwuchssorgen in den vorwiegend ländlichen Vereinen von nun an ein Dauerproblem sein sollte. Um der Nachwuchsproblematik entgegenzuwirken wurde in den 90er Jahren alsbald auch die Kooperation Schule–Verein eingerichtet sowie der Chorjugend einen größeren Stellenwert gegeben. Ende der 90er Jahre wurde Wolfgang Layer Redakteur. Zur gleichen Zeit wollte man einen stärkeren Fokus auf die Frauenarbeit legen. So wurde das Amt der Frauen- und Frauenchorreferentin sowie den Tag der Frauenstimme ins Leben gerufen. Ein weiterer Diskussionspunkt war fortan die kulturelle und musikalische Bildung. Der Wert des Musikunterrichts hatte im Laufe der Zeit stark nachgelassen, da die Politik ihm in den vergangenen Jahrzehnten keinen allzu hohen Stellenwert beilegte, ein Problem, das bis heute nachwirkt. Der SSB hatte mit der Jugendarbeit ein neues Image bekommen und setzte nun vermehrt auf die Musikerziehung von Kindern, unterstützte den Deutschen Chorverband bei der Etablierung der FELIX-Auszeichnung für musikalische Kindergärten.
Da der Schwäbische Sängerbund nun schon lange nicht mehr ein Verbund singender Männer war, sondern Gemischte und Frauenchöre dem etablierten Männerchor schon länger den ersten Platz in der Statistik streitig machten, wurden schließlich SSB und Sängerzeitung in Schwäbischer Chorverband und SINGEN umbenannt. Vom ersten Redakteur Hans Baum bis zur heutigen Redakteurin Isabelle Arnold mag sich rein optisch viel verändert haben, auch inhaltlich wurden immer wieder neue Schwerpunkte gesetzt, der Grundgedanke blieb jedoch immer gleich: eine Zeitung von und für das schwäbische Chorwesen.