In diesem Jugendchor zählt neben dem Spaß auch der Zusammenhalt der Gruppe und der Erfolg auf der Bühne.
Es gibt den urbanen Mythos, nach dem eine ganze Generation angeblich von jeglichem Chorleben entfernt ein trauriges, gesangloses Dasein fristet. Beim Blick in die Statistik vieler Vereine lässt sich bisweilen erklären, woher dieser Mythos stammt. Bei „Wireless!“ kann man diese Vorstellung gar nicht verstehen. Hier singt die Generation Y nicht nur, sie tut es auch noch gerne, engagiert und erfolgreich.
„Wireless!“ ist ein Chor, der in der Chorgemeinschaft Tuttlingen beheimatet ist. Sein Profil ist an sich das eines Jugendchores, und doch funktioniert hier alles nach einem etwas eigenen Prinzip. Das liegt einerseits an den Chormitgliedern, andererseits aber auch zu einem großen Teil an der Chorleiterin der Formation.
Was ist „Wireless!“
Die Chorleiterin Uli Groß ist seit mehr als 25 Jahren Chor- und Ensembleleiterin und kennt die Szene sehr gut. Vor ihrem Engagement in Tuttlingen hatte sie bereits einen Jugendchor in Rottweil. Diese Arbeit in Verbindung mit der Chance, die ihr die Chorgemeinschaft Tuttlingen durch die Neugründung geboten hat, nutzte Uli Groß, um einen Jugendchor der etwas anderen Art ins Leben zu rufen. „Aus meiner Zeit
in Rottweil hatte ich noch gute Kontakte, also habe ich neben den Jugendlichen aus Tuttlingen auch gezielt junge SängerInnen
aus Rottweil persönlich angesprochen“, erklärt die Chorleiterin zu den Anfängen von „Wireless!“. Ein Konzept, das schnell aufging. „Wireless!“, der Jugendchor der Chorgemeinschaft Tuttlingen, kann sich heute über Zulauf nicht beklagen. „Wie lang ist deine Warteliste mittlerweile?“, fragt Debora Vater, Chorsprecherin von „Wirless!“, lächelnd ihre Chorleiterin. Ja, viele Interessentinnen und Interessenten gibt es inzwischen.
Debora ist ein Mitglied der ersten Stunde, genau genommen eine jener Personen, die persönlich in den Chor eingeladen wurden.
Eine Einladung, die sie gerne annahm und bis heute nicht bereut hat. „Es ist einfach ein ganz anderer Einstieg als in andere Chöre. Man fühlt sich gut eingebunden und übernimmt persönlich einiges an Verantwortung“, freut sie sich. Während viele Vereine immer häufiger überlegen, ob und wie sie Jugendarbeit aufbauen oder ihren Jugendchor erhalten können, scheint „Wireless!“ ein Erfolgsrezept für die eigene
Arbeit gefunden zu haben. „Ich finde es bescheuert, sich auf eine Jammerposition zurückzuziehen. Ich glaube nicht – und meine Erfahrung in meiner Chorarbeit bestätigt mich – dass eine ganze Generation keine Lust auf Singen hat“, erklärt Uli Groß ihren Arbeitsansatz.
Der mögliche Erfolg, aber auch Misserfolg sind für sie keine Erscheinung einer einzelnen Generation, sondern vielmehr eines falschen Herangehens an die jungen Sängerinnen und Sänger – egal, ob Teens oder Twens. „Es ist wichtig, die jungen Menschen da abzuholen, wo sie stehen, und die Sängerpersönlichkeit jedes Einzelnen weiter zu entwickeln“, gibt sie zu bedenken. Musik ist für sie etwas sehr Persönliches. Stimme ebenso. Diese Tatsachen muss man bei der Entwicklung der Probenarbeit im Hinterkopf behalten und dafür eine vertrauensvolle Umgebung schaffen.
Nicht nur im eigenen Saft schmoren
„Sicherlich gibt es auch in dieser Gruppe immer mal wieder Probleme, denen man mit offenen Gesprächen ins Auge sehen muss, dazu braucht es jährliche Zielsetzungen und deren Überprüfung, Registerführer als Sprachrohr und gewählte Vertrauenspersonen aus dem Chor. Für die Weiterentwicklung der musikalischen Qualität lohnt es sich sehr, die Hilfe, Kicks und Empfehlungen von Profis anzunehmen. Der Blick von außen ist ein wichtiges Korrektiv“, sagt Uli Groß von „Wireless!“.
Als Jugendchorleiterin ist sie sich ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags bewusst. Erfahrungen im Sozialgefüge einer Gruppe
zu machen, Verantwortung übernehmen zu müssen und zu wollen, aber auch Kompromisse zu erarbeiten ist sehr wichtig bei „Wireless!“. „Ich denke generell, es ist nicht gut, wenn man sich zu nichts mehr verpflichtet fühlt und durch die Verweigerung jeglicher Verbindlichkeit bzw. Verbundenheit nie die Kraft der Gruppenenergie kennenlernt. Alles wird wurzellos, es gibt kein gemeinsames Durchhalten mehr“, gibt
Uli Groß zu bedenken. „Im Chor können die Stimmen auf der Bühne zu einem ekstatischen Bühnenereignis verschmelzen, man lernt an gruppendynamischen Vorgängen und entwickelt unmerklich ein Gemeinschaftsgefühl.“
Vor diesem Hintergrund ist ihr die Mitbestimmung im Chor besonders wichtig. „Wenn ich mir alleine ein Programm ausdenke, dann ist das eben meines, mit meinem Hirnschmalz. Wenn ich es aber nur anstoße und um Input bitte, dann kommen viel mehr Ideen zusammen. Es ist viel intensiver und der Chor fühlt sich mit dem Programm verbunden“, erklärt Groß. Ein Konzept, das gegen jeden heraufbeschworenen Trend der Verantwortungsverdrossenheit einer ganzen Generation funktioniert. Alle sind an der Entwicklung des Chores beteiligt und alle wollen auch mitwirken.
Ziele definieren und einhalten
Einmal im Jahr werden im Chor gemeinsam die Ziele gesteckt, das ist wichtig, denn letztlich müssen auch alle zusammen das Projekt tragen und sind für den Erfolg mitverantwortlich. Der Zeitplan ist dann meist straff organisiert. Regelmäßige Proben, aber auch gute Vorbereitung sind die halbe Miete, um die Qualität zu erreichen, die das Ziel ist. Das ist nicht immer leicht. Nicht immer sind alle voll bei der Sache. Hier zeigt sich aber wieder, wie wichtig Gruppendynamik und eine aufmerksame Chorleitung sein können. „Auch in solchen Situationen muss man auf den Einzelfall eingehen. Im äußersten Fall muss aber auch mal jemand den Chor verlassen“, mahnt Uli Groß.
Qualität ist wichtig. Die zeigt der Chor nicht nur bei normalen Chorauftritten. Beim Landeschorwettbewerb in Bretten im November 2017 belegte „Wireless“ in seiner Kategorie einen zweiten Platz mit „sehr gutem Erfolg“. Ebenso wurden schon zwei CDs mit den Titeln „Vocal Magic“ und
„Hurra, die Welt geht unter!“ produziert. Projekte, die die jungen Menschen motivieren und dazu bringen, über sich hinaus zu wachsen.
Was macht den Erfolg aus?
Debora Vater fasst es für sich so zusammen: „Der Rahmen passt einfach – dafür gibt man gerne etwas Freizeit her.“ Die entscheidenden Faktoren sind für sie die Qualität des Chores, die Ausgewogenheit zwischen Sologesang und chorischem Klang. „Die Verpflichtung, die man durch die Mitgliedschaft im Chor eingeht, wird manchmal negativ wahrgenommen“, stellt die Chorleiterin fest. Dennoch ist gerade auch diese Verpflichtung einer der attraktiven Punkte. Sie gibt eine Struktur vor, die eben oft auch nicht als unangenehm empfunden wird. Dass andere Chöre oft Nachwuchsprobleme haben, versteht die Chorsprecherin sehr gut, sieht den Grund aber nicht nur allein bei den Vereinen. „Das Image des Wortes Chor ist einfach so schlecht. Am Anfang war ich dafür, dass wir ein neues Wort für uns finden, weil ich uns nicht mit diesem Ausdruck identifizieren konnte. Heute sehe ich das anders. Nicht das Wort muss geändert werden, sondern der Inhalt, den viele Menschen dahinter sehen. Das Bild muss sich einfach wandeln. Ich bin gerne Choristin.“
„Wireless!“ hat für 2018 schon wieder einen straffen Zeitplan ausgearbeitet. Neben dem Musikalischen soll nun auch die Medienarbeit noch stärker in den Fokus des Chores rücken. „Fundraising kostet uns im Moment zu viel Zeit und uns fehlt die Erfahrung“, sagt Uli Groß. Daher ver-
sucht sie einfach das, was an hochwertigem Video-, Bild- und Studiomaterial eh schon da ist, einfach stärker für die Werbung zu nutzen. „Die beste Werbung ist das, was wir tun, die Qualität unserer Arbeit. Jetzt müssen wir das nur noch mehr nach außen tragen“, lächelt sie.