Wie ein Setzling aus Palästina, der in Schwaben wächst, einen Dichter in Paris zu einem Gedicht verführt.
Dass die oben im Titel zitierte Bauernregel zutrifft, davon kann man sich demnächst wieder im Einsiedel überzeugen. Dort steht der wohl bekannteste „Hagdorn“ des Landes. Silcher hat ihm sogar ein kleines Lied gewidmet.
Graf Eberhards Weißdorn
Graf Eberhard im Bart
Vom Württemberger Land,
Er kam auf frommer Fahrt
Zu Palästina‘s Strand.
Daselbst er einstmals ritt
Durch einen frischen Wald;
Ein grünes Reis er schnitt
Von einem Weißdorn bald.
Er steckt‘ es mit Bedacht
Auf seinen Eisenhut;
Er trug es in der Schlacht
Und über Meeres Flut.
Und als er war daheim,
Er‘s in die Erde steckt,
Wo bald manch neuen Keim
Der neue Frühling weckt.
Der Graf, getreu und gut,
Besucht‘ es jedes Jahr,
Erfreute dran den Mut,
Wie es gewachsen war.
Der Herr war alt und laß,
das Reislein war ein Baum,
Darunter oftmals saß
Der Greis im tiefsten Traum.
Die Wölbung, hoch und breit,
Mit sanftem Rauschen mahnt
Ihn an die alte Zeit
Und an das ferne Land!
Schon immer ein Ausflugsort
Schon vor zweihundert Jahren pilgerten viele Ausflügler zum Einsiedel im Schönbuch, um dort im Hof des ehemaligen Jagdschlösschens einen alten, legendenumrankten Baum zu bewundern. Unter den Besuchern waren damals u.a. auch Ludwig Uhland, Friedrich Silcher und natürlich viele Studenten der Liedertafel.
Dem Dichter Uhland verdankt der Baum mit dem etwas sperrigen Namen „Crataegus monogyna“, der sich im Frühling in unzählige weiße Blütenwölkchen hüllt, auch seine große Bekanntheit. Der Tübinger Lyriker hat ihm nämlich 1810 mit seiner Ballade „Graf Eberhards Weißdorn“ ein literarisches Denkmal gesetzt.
Worum geht es in diesem Lied?
Die von Uhland aufgegriffene Geschichte ist eine Mischung aus wahrer Begebenheit und legendenhafter Überlieferung: Im Frühjahr 1468 war der württembergische Graf Eberhard V. („im Bart“) zu einer mehrmonatigen Pilgerreise nach Palästina aufgebrochen. Nachdem er am Heiligen Grab in Jerusalem schließlich den Ritterschlag empfangen hatte, war er im Herbst wieder nach Urach zurückgekehrt. Soweit die Fakten.
Fakt und Legende
Nun die Legende – in der vielleicht ein Zweiglein Wahrheit steckt: Auf seinem Helm soll der Graf als Souvenir aus Paläs-
tina das Reis eines Weißdorns mitgebracht haben. Er pflanzte es – so die Legende – im Einsiedel in die Erde, wo es mit der Zeit zu einem mächtigen Baum heranwuchs. Unter dessen Krone sitzt nun in Uhlands Ballade der inzwischen alt gewordene Graf und denkt an seine lang zurückliegende Reise:
„Die Wölbung, hoch und breit,
Mit sanftem Rauschen mahnt
Ihn an die alte Zeit
Und an das ferne Land!“
Tatsächlich erwähnt schon der Chronist Johann Fischart 1575 einen „Dornstrauch im Schönbuch“, der aus „des Herzogs Eber-
hard mit dem Bart Laubstrauß“ hervorgegangen sei. 1650 maß die Krone dieses Baums dann bereits 32 Meter im Umfang. Auf einem alten Bild sieht man, dass die weit ausladenden Äste sogar von Steinsäulen abgestützt werden mussten.
Der erste Weißdorn im Hof des Einsiedel ist nicht mehr erhalten, wohl aber sein Nachfolger. Dieser zweite Baum soll seinerseits aus einem Steckling des ersten gezogen worden sein. Er ist inzwischen als Naturdenkmal eingetragen.
Zurück zu Eberhard: Die Palästinafahrt hatte auf den jungen Landesherrn eine günstige Wirkung. Der lebenslustige Don Giovanni von der Uracher Alb, der als „wollüstig und vergnügungssüchtig“ galt und anscheinend nichts anbrennen ließ, verwandelte sich prompt in einen seriösen Herrscher, der von seinen Zeitgenossen geschätzt und vom Kaiser schließlich in den Herzogsstand erhoben wurde. Württemberg verdankt Eberhard viel. Er gründete z.B. 1477 die Universität in Tübingen, an der später auch Uhland und Silcher wirkten.
Uhland schuf die Eberhard-Ballade übrigens nicht im Schatten des von ihm besungenen Baumes, wie man vielleicht meinen könnte, sondern im fernen Paris, wo er sich damals zu Studienzwecken aufhielt. Aus seinem Tagebuch wissen wir: Es war am 13. Oktober 1810 „nachts zehn Uhr“ im Café des Palais Royal.
Eine bekannte Geschichte
Natürlich wusste der historisch gebildete Tübinger, an welch geschichtsträchtigem Ort er damals in Paris saß: Von hier waren 1789 die aufgeputschten Massen zum Sturm auf die Bastille losgezogen. Aber nicht dieses die Welt erschütternde Großereignis wurde das Thema seines Gedichts, sondern eine kleine intime Episode aus der heimatlichen Geschichte. Vielleicht hatte der 23-jährige an jenem Herbstabend in Paris ja einfach nur Heimweh nach dem Schönbuch.
Das volksliedhafte Werkchen erschien dann erstmals im „Poetischen Almanach für das Jahr 1812“. Es hat viel Anerkennung gefunden. Sogar der Philosoph Ludwig Wittgenstein fand: „Das Uhlandsche Gedicht ist wirklich großartig.“
Dieser Meinung war gewiss auch Silcher, ein Komponist mit einem untrüglichen Gespür für Texte. Er versah um 1840 Uhlands Gedicht mit einer eigenen Melodie und veröffentlichte das Lied u.a. 1853 zweistimmig gesetzt im sechsten Heft seiner „12 Kinderlieder“.
Heute erinnert in der Einfahrt zum Hofgut Einsiedel eine ältere Informationstafel an die Geschichte dieses Ortes und seines Naturdenkmals. Es wäre schön, wenn hier einmal bei einer Erneuerung dieser Tafel ein Hinweis auf das Lied hinzugefügt würde. (Ein schönes Beispiel für eine solche Ergänzung ist jene Schautafel, mit der der Liederkranz Hohengehren am Goldbodendenkmal im Schurwald an Silchers Goldbodenlied erinnert.)