Theorie und Praxis klaffen im Bereich der Aufsichtspflicht häufig weit auseinander. Bindeglied ist oft – nur – das Glück, dass nichts passiert ist. Natürlich auch – und viel mehr – die Umsicht und Tüchtigkeit der Aufsichtspflichtigen.
Wir unterscheiden zwischen gesetzlicher und vertraglicher Aufsichtspflicht und Gefälligkeitsaufsicht.
Gesetzliche Aufsichtspflicht:
Gesetzlich aufsichtspflichtig sind zunächst die Eltern. Desgleichen sind es Lehrer an öffentlichen Schulen, Ausbilder in Betrieben, Kindergärtner an staatlichen Kindertagesstättem. Ihnen ist durch ihr Amt oder durch ihre Sorgeberechtigung nach Familienrecht die Aufsichtspflicht aus gesetzlicher Vorschrift auferlegt; dabei bedarf es ihrer Zustimmung, ihres Einverständnisses oder auch nur ihrer Kenntnis nicht.
Vertragliche Aufsichtspflicht:
Anders ist es da bei der vertraglichen Aufsichtspflicht, die – wie der Name schon sagt – durch eine vertragliche Vereinbarung übernommen wird. Mag dies für einen Schüler gelten, der gegen ein Taschengeld auf die Kinder des Nachbarn aufpasst, mögen es private Erzieherinnen und Erzieher in einer Behinderteneinrichtung, Übungsleiter in einem Sportverein sein, oder aber – hier maßgeblich – die Vereine des Schwäbischen Chorverbandes. Dieser Aufsichtspflicht liegt ein – ggf. auch nur mündliches oder stillschweigend zustande gekommenes – Vertragsverhältnis zugrunde; der eine will die Aufsichtspflicht übertragen, der andere sie übernehmen. Im Verein geschieht dies – beispielsweise bei Kindern und Jugendlichen – durch die Mitgliedschaft im Verein.
Schließlich: das Gefälligkeitsverhältnis:
Der Nachbar, der für eine halbe Stunde auf den Hund aufpasst, die Oma, bei der man während des Einkaufs das Kleinkind „abstellt“: das sind Fälle der Gefälligkeit, bei denen insbesondere keine Vergütung erfolgt, wo eine Haftungsübernahme für den Schadensfall von beiden Seiten nicht gewollt ist. Passiert in diesem Zusammenhang etwas, wird ein Haftungstatbestand nicht ausgelöst. Doch Vorsicht! Die Abgrenzung zur vertraglichen Aufsichtspflicht ist manchmal sehr schwierig und schon häufig Gegenstand von zivil- und strafrechtlichen Entscheidungen gewesen.
Wer ist zu beaufsichtigen?
Im Grundsatz jedes Kind und jeder Jugendliche bis 18 Jahren. Dann wird er volljährig und übernimmt für sich die volle haftungsrechtliche Verantwortung.
Es ist klar: Aufsicht ist relativ
Ein kräftiger 17-Jähriger wachen Geistes bedarf in aller Regel im Hinblick auf seine Einsichts- und Handlungsfähigkeit keiner Aufsicht mehr. Ein 6-jähriges Kind schon.
Das Lebensalter und die Einsichts- und Handlungsfähigkeit sind aber nicht der einzige Parameter: auch der geistige und körperliche Entwicklungsstand, die persönlichen Charaktereigenschaften des Kindes (beschrieben als beispielsweise hektisch, sprunghaft, ängstlich etc.) spielen eine Rolle, ebenso die Erfahrungen, über die der Jugendliche/das Kind bereits verfügt, beispielsweise in einer von ihm schon erlernten Sportart; schließlich spielt auch die objektive Gefährlichkeit der Situation, die Bekanntheit oder Unbekanntheit der Umgebung eine Rolle.
All diese Gesichtspunkte muss der Aufsichtspflichtige bedenken, wenn er festlegt, wie er seiner Verantwortung gerecht wird. Aufsichtspflichten im Chor gibt es nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Kranke, Alte oder Behinderte.
Aufsichtspflicht bei Reisen
Eine besondere Verantwortungssituation entsteht, wenn mit Aufsichtsbedürftigen eine Reise durchgeführt wird. Hier entsteht für die Reisebegleiter und den Chorleiter eine besondere Aufsichtssituation, die unbedingt vor Antritt der Reise mit dem Vorstand besprochen und hinsichtlich der notwendigen Maßnahmen vorbereitet werden muss. Geschieht dies nicht, müssen im Schadensfalle sowohl die Vorstandsmitglieder als auch Chorleiter und Begleiter mit einer Inanspruchnahme wegen Verletzung der Aufsichtspflicht rechnen, ggf. sogar im Sinne eines Gesamtschuldverhältnisses, § 840 BGB.
Die gemeinsame Abklärung der Verantwortlichkeit hat deshalb nicht nur die Vermeidung eines Schadens, sondern auch die Klärung der Verantwortlichkeiten und damit letztlich der unmittelbaren Haftung zum Gegenstand. Es empfiehlt sich, die Festlegung der Verantwortlichkeiten in geeigneter Form zu dokumentieren.
Übrigens: Aufsichtspersonen müssen nicht volljährig sein. Auch hier kommt es auf ihre individuelle Einsichts- und Handlungsfähigkeit an.
Eine besondere Rolle spielen die Eltern minderjähriger Kinder und Jugendlicher bei der Durchführung einer Reise. Für diese delegieren sie nämlich ihre Sorgeverpflichtung an den Verein und die dort Verantwortlichen, Chorleiter und Aufsichtspersonen.
Vorsorgen: Absicherung mit Formularen
Es empfiehlt sich, auf einem Formular die Zustimmung der Sorgeberechtigten zu der jeweiligen Reise einzuholen und die Erklärung, dass die Eltern einverstanden sind, im bestimmten Umfang und für bestimmte Zeiten ihr Kind, allein oder in einer Gruppe, auch allein und ohne Aufsicht sein zu lassen.
Erklärungen wie „Ich bin damit einverstanden, dass mein Kind nach einer Chorveranstaltung bis 23 Uhr (Beispiel!) ohne Aufsicht, aber in einer Gruppe von mindestens drei anderen Chorsängern unterwegs sein darf“, findet man häufig.
Die Schulen verfügen über entsprechende Formulare für ihre Veranstaltungen; für die Vereine des Schwäbischen Chorverbandes ist ein solches Formular in Vorbereitung.
Information ist wichtig
Wichtig für den Aufsichtspflichtigen und den zu Beaufsichtigenden ist die Information: Der Aufsichtspflichtige muss sich selbst über die möglichen Gefahren bei der von ihm zu beaufsichtigenden Veranstaltung informieren und sich darüber mit dem Vorstand abstimmen. Er muss die weiteren Begleitpersonen über die Situation und die Wahrnehmung ihrer Pflichten informieren. Schließlich muss der Aufsichtspflichtige auch seine Schutzbefohlenen darüber informieren, was auf sie zukommt und was sie selbst beachten und befolgen müssen.
Was, wenn ein Schaden passiert
Schließlich: Ist ein Schaden trotz aller Bemühung eingetreten, so muss dieser Schaden dem Vorstand und den Eltern sowie erforderlichenfalls den Behörden unverzüglich mitgeteilt werden. Die Mitteilung muss zutreffend sein, selbst dann, wenn der Aufsichtspflichtige damit eigenes Verschulden offenbaren müsste. Im Übrigen: Bei unabwendbaren Schadensfällen haftet der Aufsichtspflichtige nicht, sondern nur bei Verschulden (Fahrlässigkeit oder Vorsatz). Zivilrechtlich haftet zunächst der Verein, dessen Erfüllungsgehilfe der Aufsichtspflichtige ist, auch für dessen Verschulden. Bei deliktischer Haftung muss er beweisen, dass er den Aufsichtspflichtigen sorgfältig ausgewählt und überwacht hat.
Im Innenverhältnis kann bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit der Verein den Aufsichtspflichtigen in Regress nehmen, oder es tritt eine anteilige Haftungsverteilung im Innenverhältnis ein. Deshalb ist die Feststellung besonders wichtig, dass im Rahmen des Versicherungsvertrages zwischen der ARAG und den Vereinen des DCV, also auch denen des Schwäbischen Chorverbandes, für diese Verantwortlichkeiten eine verlässliche Versicherung besteht, die den Schaden bei ordnungsgemäßer Meldung und Vorliegen der Voraussetzungen reguliert, es sei denn, der Schaden sei durch vorsätzliches oder grobfahrlässiges Verhalten des Aufsichtspflichtigen und/oder des Vorstands entstanden.
Christian Heieck
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Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.