Ein Jugendchor kann mehr als nur eine lustige Singstunde und ein gutes Konzert. Ein Chor kann bewegen – musikalisch, aber auch gesellschaftlich.
Wie wichtig die Themen Demokratie und soziale Werte in der Gesellschaft sind, wie leicht sie aber auch in Vergessenheit geraten können, das merkt man manchmal erst, wenn es schon fast zu spät ist. Dass man früh Tendenzen erkennen kann und sollte und sich seiner Verantwortung bewusst sein muss, das beweist der Liederkranz Steinenberg.
In erster Linie kein Projekt, sondern eine Selbstverständlichkeit
Steinenberg ist ein kleiner Ort in der Nähe von Schorndorf im Chorverband Friedrich Silcher. Mit unter 2.000 Einwohnern freut sich der Ort über ein ausgeprägtes Vereinsleben. Neben dem Gemischen Chor gehört vor allem auch der Jugendchor zu den positiven Erscheinungen des Ortes. Hier wird aktiv Jugendarbeit betrieben. Als 2016 die ersten Flüchtlinge in der kleinen Gemeinde untergebracht wurden, stieß die veränderte Situation nicht nur auf Begeisterung: „Die Hemmschwelle vor dem Unbekannten – das war ein großes Problem“, erklärt Bernhard Thiel, Vorstandsmitglied im Liederkranz Steinenberg. Doch statt zu resignieren, machten sich Chormitglieder auf den Weg, um aus dem Unbekannten einfach etwas Bekanntes zu machen. Dabei ging es den Verantwortlichen aber nicht darum, direkt ein besonderes Projekt zu starten, sondern auf die aktuelle Situation zu reagieren.
ERste Startschwierigkeiten
„Wir reden hier von einem hochpädagogischen Projekt – sowohl in Bezug auf die betroffenen Jugendlichen als auch den Eltern“,
gibt Katrin Schwarz, die Chorleiterin im Liederkranz Steinenberg, zu bedenken. Es standen vor allem am Anfang viele Ängste von Chormitgliedern, aber auch deren Eltern im Raum. Vor allem als die Arbeit mit den Geflüchteten konkreter wurde und die Jugendlichen zur Chorprobe des Jugendchores eingeladen wurden, gab auch die Befürchtung, die Qualität des Jugendchores könnte unter den neuen Gegebenheiten leiden.
Ein Argument, das auch Katrin Schwarz nicht entkräften konnte und wollte. „Sicher gibt es am Anfang einen Qualitätsverlust. Das lässt sich nicht vermeiden. Mir war es aber wichtig, dass die Menschen begreifen, welchen Mehrwert sie durch diese Integration im Chor, aber auch in der Gesellschaft haben.“
Bis zur Akzeptanz war es nicht immer ein leichter Weg. Man müsse die Herausforderungen in einer solchen Situation ehrlich und sicherlich manchmal auch ungemütlich ansprechen. Hier gibt es wenig Platz für Diplomatie, wenn etwas erreicht werden soll und vor allem auch der gesamte Verein hinter der Aktion stehen soll. Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede, über die man dann auch reden muss. Doch die Gemeinsamkeiten überwiegen.
Ein Blick in die Gesellschaft von morgen
Katrin Schwarz sah es von Anfang an als ihre Mitverantwortung an, sich im Bereich der Integration zu engagieren. Und der Erfolg gab ihr recht: „Es gab so einen Moment, da wurde den Jugendlichen bewusst, dass die Geflüchteten nicht einfach wieder gehen werden, das war ein wichtiger Punkt“, erklärt die Chorleiterin. Die persönliche Erfahrung mit den einzelnen Schicksalen, die Erkenntnis, dass viele Menschen in ihren Herkunftsländern nichts mehr haben, wohin sie zurück kehren könnten, das hat viele im Chor zu einem neuen Denken bewegt. „Sie haben begriffen, dass sie hier den Blick in eine Gesellschaft bekommen, in der sie in Zukunft leben werden“, sagt Schwarz.
Das entstehen eines Projektes
Singen steht in enger Verbindung zu Sprache. In erster Instanz sicherlich ein Problem. Doch auch als Chorleiter muss man sich den Gegebenheiten anpassen. „Wir haben am Anfang ganz viele Stücke ohne Sprache gewählt und haben uns dann langsam herangetastet“, erklärt Bernhard Thiel, der von Anfang an in der Organisation beteiligt war. Wie groß das verbindende Element der Musik ist, das zeigte sich relativ schnell in den Proben. „Es sind Kinder und Jugendliche wie hier auch“, sagt Thiel. Sehr schnell hat sich unter den Jugendlichen eine Gemeinschaft gegründet. Wie in den meisten Jugendchören wurde Schmuck getauscht, sich gegenseitig geholfen und auch mal ein Kuchen gebacken.
„Am Anfang war es schwierig mit der Sprache, aber es hat immer Spaß gemacht und man hat nette Leute kennengelernt“, freut sich auch Mohamad. Er besucht den Chor mit seinen Geschwistern immer gerne und fungiert hier zudem als geübter Übersetzer.
Anderes Land, andere Kultur, andere Sprache. Ein Chor ist kein Allheilmittel für gelingende Integration, aber ein guter Anfang. Hier handelten alle Beteiligten auf Augenhöhe.
Es ist ein Aufwand, aber es lohnt sich
Nicht nur Sprachbarrieren sind schwierig zu überbrücken, auch die Logistik ist nicht immer übersichtlich und leicht in der Handhabung. Um das Engagement stemmen zu können, hat der Verein Projektfördergelder der Aktion Mensch einwerben können. Als diese Projektmittel ausliefen, konnten sieben Sponsoren gefunden werden, die eine Fortführung sicherstellten.
Ein gemeinsames Konzert als Highlight
Am 7. Oktober 2017 gab der Liederkranz Steinenberg mit dem Projektchor „Songfactory“ und dem Jugendchor, in dem auch die geflüchteten Kinder ihren Platz gefunden hatten, sein erstes Konzert unter dem Titel „Frieden-Freiheit-Heimat“.
Das Konzertprogramm des Abends mahnte den Wahnsinn des Krieges an, verzehrte sich in der Sehnsucht nach Frieden und schrie letzlich aber auch das ansteckende „Ja zum Leben“ heraus. Mehr als 250 Zuschauerinnen und Zuschauer waren nicht nur emotional dieser Reise gefolgt, sondern feierten den Erfolg des Projektes. „Man muss sich klar machen, Musik ist ein identitäts- und wertestiftendes Kulturgut“, gibt Katrin Schwarz zu bedenken. Die Emotionalität, die in der Musik liegt, ergreift und verbindet. An diesem Abend nicht nur den Chor allein, sondern auch das Publikum. Das Konzert wurde als großer Erfolg gewertet.
Man muss auch mit der ungewissheit umgehen können
Jeder Chor hat mit Wechseln in der Besetzung zu kämpfen. Vor allem im Jugendbereich stellt dies ein großes Problem dar. Im Fall des Liederkranz Steinenberg ist die Situation nun allerdings noch etwas verschärfter. Auf Grund des Aufenthaltstitels vieler Mitsänger kommt es immer wieder zu sehr spontanen und nicht vorhersehbaren Umzügen ganzer Familien. „Man baut etwas auf und dann kommt eine Anordnung vom Amt. Ohne Rücksprache. Das ist schade und ich würde mir wünschen, dass es hier vielleicht in Zukunft bessere Lösungen gibt“, gibt Bernhard Thiel zu bedenken.
Dennoch ist er sich mit der Vorsitzenden des Liederkranzes Steinenberg, Angelika Pfarr, und der Chorleiterin Katrin Schwarz einig: Das alles war und ist der Mühe wert. „Ich bin mir sicher, dass es für die Sängerinnen und Sänger, die in andere Gebiete Deutschlands umgezogen sind, eine gute Grundlage für die weitere Integration gegeben hat“, sagt die Vorsitzende.
Derzeit stellt sich die Frage, wie das Projekt in Zukunft fortgeführt werden wird. Die Sponsoren sind an Bord, der Verein sowieso. Nun müssen aber zunächst neue Sängerinnen und Sänger gefunden werden. Der Liederkranz Steinenberg ist jedenfalls darauf vorbereitet und freut sich auf die nächsten Herausforderungen. Nachwuchsarbeit einmal anders, aber deshalb sehr erfolgreich.