Rezension: „…wer nichts weiß, übt dumm!“
Bücher über die Stimme, deren Ausbildung und Gesangspädagogik gibt es zahlreich, eine „Anleitung zum Üben klassischen Gesangs“ verspricht daher eine Bereicherung der bestehenden Literatur zu sein. Diesen Untertitel trägt das 2024 im Wißner-Verlag erschienene Buch „…wer nichts weiß, übt dumm!“ der Sängerin und Hochschul-Gesangsprofessorin Renate Faltin.
Der Titel ist äußerst unglücklich gewählt, weil den zur eigenen Optimierung motivierten Singenden potenziell Dummheit unterstellt wird; auch das Titelbild ist irreführend und lässt eher auf ein Kochbuch schließen. Fatale Schlussfolgerung: Wer also nicht richtig singt, ist dumm und sollte das Singen bleiben lassen und stattdessen Kuchen backen? Gewagtes Cover.
Dabei enthält das Buch sehr hilfreiche Kapitel – wie etwa das zum Thema „Stütze“ –, das frei von wissenschaftlichen Fachbegriffen nicht versucht, etwas Einfaches zu verkomplizieren, sondern Grundlegendes vermittelt, worüber viele professionelle Sänger:innen froh gewesen wären, hätte man ihnen das von Anfang an so erklärt.
Laut Klappentext wendet sich dieses Buch „an alle, die – lernend oder vermittelnd, als Laien oder beruflich – mit dem Singen zu tun haben“. Man möchte jedoch empfehlen, dieses Buch nur unter fachkundiger Aufsicht zu nutzen – also die gelesenen Informationen und ausprobierten Übungen mit dem/der eigenen Gesangslehrer:in anschließend zu besprechen und praktisch auszutesten. Denn, was Renate Faltin mehrfach richtig anmerkt: Jede:r ist individuell und muss für sich herausfinden, was sich gut anfühlt. Das kann unter Umständen das Gegenteil sein von dem, was der besten Freundin, dem Sitznachbar in der Chorprobe oder dem Dirigenten guttut. Und da sollte man nicht alleine wild herumprobieren, denn etwas so Praktisches wie das Singen theoretisch erklären zu wollen, birgt nicht selten Risiken für Missverständnisse.
In Zeiten, in denen Bücher selten von vorne bis hinten systematisch und aufmerksam gelesen werden, und in denen der Mensch versucht, komplexe Dinge auf einen möglichst einfachen Nenner zu bringen, mutet die Auflistung „kleiner Merkhilfen“ beinahe gefährlich an. Zu sehr werden hier komplexe und individuell unterschiedliche Zusammenhänge verkürzt („Je schneller, desto heller.“) oder Ratschläge gegeben, die nicht pauschalisiert werden können, sondern nur in bestimmten Kontexten angewendet werden sollten („Singe einen hohen Ton immer ein bisschen vor der Zählzeit und immer etwas länger, als er tatsächlich ist.“).
Dennoch kann das Buch für bereits geübtere Sänger:innen eine nützliche Ergänzung sein. Mit QR-Codes verweist Faltin fallbezogen auf ausgewählte Hör- und Videobeispiele; Notenabdrucke und notierte Übungen erleichtern Verständnis und Umsetzung. Aus Faltins zugewandtem Schreibstil spricht ihre sängerische und pädagogische Erfahrung: Sie liefert Inspiration für das eigene Singen und ordnet Beobachtungen und Allgemeines ein – überlässt die unerfahrenen Sänger:innen also nicht ihrer reinen Interpretation. Den Unterricht bei einer Gesangslehrerin kann das Buch aber nicht ersetzen.
Renate Faltin: „…wer nichts weiß, übt dumm! – Anleitungen zum Üben klassischen Gesangs“; Wißner-Verlag, 2024, 192 Seiten, 34,80€
Anzeige



