Warum musikalische und musikpädagogische Weiterbildung so wertvoll ist
In die Akademie zu gehen, ist jedes Mal ein Entrücken aus dem Alltag. Diese Insel verlässt Du mit einem Rucksack, gefüllt, getankt, gestärkt mit ergänzenden Sichtweisen, neuen Erfahrungen, motivierenden Anregungen, neuen Kontakten und auch gut tuender Bestätigung des eigenen Handelns. Ich kehre bereichert zurück in den Musikalltag und frage mich:
„Wann kann ich wiederkommen und weiter auftanken?“
So beschreibt die Musikpädagogin Andrea Krüger aus Niedersachsen nicht nur ganz persönlich, wie sie von den Angeboten der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen profitiert. Sie liefert zugleich eine ganz wunderbare Definition von Weiterbildung.
Raum zum Experimentieren, Zeit und Ruhe, um Neues zu erproben, Begegnungen für kollegialen Austausch, eine intensive Verknüpfung von Theorie und Praxis – das sind seit der Gründung 1972 Angebot und Anspruch der Bundesakademie für musikpädagogisch arbeitende Menschen in Musikschulen, Schulen, Vereinen, Kirchen, Kindertagesstätten und freier Arbeit. Die Bundesakademie ist eine Weiterbildungseinrichtung für alle, die in diesem Feld der musikalischen Kinder- und Jugendbildungsarbeit aktiv sind. Sie wollen wir mit aktuellem Wissen für ihre Praxis ausstatten.
Denn DirigentInnen, ChorleiterInnen, JugendleiterInnen, MusiklehrerInnen im freien Beruf, KirchenmusikerInnen, MitarbeiterInnen in sozialpädagogischen Berufen und alle, die mit Amateurmusikerinnen und -musikern arbeiten, stehen im Alltag oft allein da. Weiterbildung für dieses Arbeitsfeld ist daher viel mehr als nur das Vermitteln von neuem Fachwissen. Seminare und Weiterbildungen sind auch gute Orte für einen intensiven kollegialen Austausch – der oftmals auch nach Ende eines gemeinsamen Seminars bestehen bleibt. Zugleich erleben Menschen, die mit Chören oder Musikvereinen arbeiten, dass sie auf sich ändernde Bedingungen und Herausforderungen neu reagieren müssen. Mit der Ausweitung der Schulzeit in den Nachmittag, durch Inklusion und Zuwanderung verändert sich die Arbeit mit Singgruppen und Chören. Neue musikalische Einflüsse, sich verändernde Musikstile, mediale Entwicklungen – all das erfordert frisches Wissen und die Möglichkeit, selbst Erfahrungen zu machen, Neues praktisch zu erproben und so im allerbesten Sinn zu lernen.
Singen ist nicht gleich Singen
Wer wüsste das nicht besser als diejenigen, die aktiv in ihrer Freizeit in Chören und Vereinen singen. Jedes Chortreffen, jede Singstunde ist dabei aktive Weiterbildung. Aber es geht noch mehr – und dazu möchte ich alle Sängerinnen und Sänger ermutigen. Auch wenn die Bundesakademie im Schwerpunkt mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren arbeitet, so werben wir zugleich dafür, dass auch die Aktiven in den Vereinen und Chören sich fachlich weiterqualifizieren. In einem Bereich, der sie neben dem Job erfüllt, den sie als Hobby betreiben, können sie Weiterbildung als persönliche Bereicherung erfahren. Denn nicht nur im beruflichen Kontext, auch im privaten Feld ist Weiterbildung ein wichtiger Baustein zur persönlichen Entwicklung. Auch Hobbymusik darf sich immer weiter professionalisieren und mit einem hohen Anspruch ausgeübt werden. Und die eigene Weiterbildung wirkt sich dann nicht zuletzt auch auf die musikalische Qualität in einem Ensemble oder Chor aus. Dafür gibt es unzählige Angebote, die Chorverbände sind hier wichtige Ratgeber und Schnittstellen, damit alle, die mehr lernen wollen, für sich das richtige Angebot finden.
Der Chorverband an der Schnittstelle zwischen Praxis und Akademie
Wie setze ich Inklusion in meinem Chor um? Wie beziehe ich Menschen anderer Kulturen in meine Arbeit ein? Wo finde ich qualitätsvolle Literatur für die Wünsche meines Jugendchores? Gibt es für mich neue Stimmbildungs- und Gesangstechniken? Was bedeutet für mich Partizipation von Kindern und Jugendlichen im Chor?
Auf aktuelle Fragen wie diese reagiert der Schwäbische Chorverband mit seiner Arbeit ganz konkret. Einerseits praktisch durch Angebote für Familien, die Arbeit mit Kindern, Seniorinnen und Senioren, die Begleitung der Sängerinnen und Sänger ebenso wie der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Zugleich ist der Verband ein Sprachrohr für seine Mitgliedsvereine, damit diese wiederum die Weiterbildungsangebote finden können, die sie für ihre Praxis wirklich brauchen.
Wir in der Bundesakademie brauchen Gesprächspartner wie den Schwäbischen Chorverband, um die Anliegen in den Vereinen zu kennen und dafür Lösungsideen zu entwickeln. Das betrifft nicht nur die Konzeption von Weiterbildungsangeboten, sondern auch die Erstellung und Verteilung von professionellen Materialien.
Auf diese Weise können wir Themen modellhaft in der Weiterbildung erproben, die anschließend bundesweit installierbar sind. Und nicht zuletzt profitieren wir immer wieder von der direkten Rückmeldung der Menschen, die an der Basis arbeiten, und die für uns zur Wirkungsanalyse unabdingbar ist.
In der Bundesakademie Trossingen gibt es ein breites Weiterbildungsangebot
Jährlich finden hier rund 150 Veranstaltungen in mehr als 30 Fachgebieten statt. Mehr als 200 Dozentinnen und Dozenten gehören zum Pool der Lehrkräfte – sie sind Meisterinnen und Meister auf ihrem Gebiet. Die Teilnehmenden können sowohl inhaltlich-konzeptionell wie auch in der zeitlichen Anlage aus einer großen Bandbreite wählen: von mehrphasigen berufsbegleitenden Lehrgängen (mit Prüfung und Zertifikat) über berufsbegleitende Fortbildungen bis hin zu Seminaren und Workshops über eine Woche bzw. ein Wochenende.
Für die vokale Arbeit in Chören, im Gesangsunterricht, mit großen und kleinen Sängerinnen und Sängern, von der ersten Erfahrung mit der eigenen Stimme bis zum Auswahlensemble macht die Bundesakademie Seminarangebote. „Abenteuer Kinderchor“, „Vocals in Jazz“, „Einstimmen – Anstimmen“, „Kreative Solmisation“, „Singen – szenisch bewegt …“, „Singen und Stimmbildung mit Kindern“, „Popchor“, „Bodypercussion und Boomwhackers“ – das sind nur einige der Angebote aus dem aktuellen Programm. Immer geht es um eine gute Mischung von Grundlagen und aktuellen Trends.
Ausbildungen für Ehrenamtliche
Dass qualifizierte Lehrende und Leitende auf jeder Ebene der musikalischen Kinder- und Jugendarbeit unverzichtbar sind, wird bereits hörbar, wenn Kinder zu singen beginnen. Wie schrecklich können sie klingen, wenn sie es falsch vorgemacht bekommen. Wie wunderbar – meistens dann ihr Leben lang – wenn sie es richtig erleben, vermittelt bekommen und motiviert werden. Die Kompetenz der Vorbilder ist enorm wichtig.
Viele Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in den Musikvereinen sind aber keine Profis. Auch sie müssen die Möglichkeit bekommen, auf einem hohen Niveau und qualitätsvoll zu wirken. Um das auf allen Ebenen zu sichern, hat die Bundesakademie Trossingen vor vielen Jahrzehnten das Aus- und Weiterbildungssystem der Amateurmusik entwickelt, um diejenigen, die keine musikpädagogische Berufsausbildung haben, aber sich ehrenamtlich auf diesem Feld stark engagieren, fachlich zu qualifizieren. Entstanden ist ein konsequenter Ausbildungsweg für Amateurdirigierende und ein Weiterbildungsweg für „Profis“ mit allen wichtigen Grundlagen und Grundstandards. Das System bietet eine Durchlässigkeit von der musikalischen Schulung als Sänger, der Arbeit mit Kindern oder Erwachsenen über die Vizechorleitung bis zur Chorleitung.
In den verschiedenen Amateurmusikverbänden ist die Systematik dieser Ausbildung (auch als D, C, B-System bekannt) heute bundesweit verankert. In einer Zeit, in der es Weiterbildungsangebote in großer Zahl und Breite gibt, sorgt diese Systematik für eine klare und transparente Orientierung. Im Chorverband existiert dieses Ausbildungssystem ebenfalls, es wird allerdings in den Landesverbänden noch ganz unterschiedlich benannt und gehandhabt. Der Schwäbische Chorverband nimmt hier eine Vorreiterrolle ein, indem er bereits die D-Lehrgänge sowie das Hugo-Herrmann-Seminar (C-Ausbildung) in enger Absprache mit der Bundesakademie aufgestellt hat, sodass die Ausbildung in einen bundesweiten B-Lehrgang* münden kann. Die Abschlussprüfung des Hugo-Herrmann-Seminars wird bereits seit Langem gemeinsam mit der Bundesakademie durchgeführt.
Mit dem Schwäbischen Chorverband verbindet uns nicht nur die räumliche Nähe
Als „Weiterbildungsinstitut bundeszentraler Verbände der außerschulischen Musikerziehung und Musikpflege“ ist der Deutsche Chorverband neben vielen anderen Verbänden im Trägerverein vertreten – auf diesem Wege sind auch die Landesverbände wie der Schwäbische Chorverband ganz direkt Partner der Akademie und Kooperationspartner für Weiterbildungen und Lehrgänge. Perspektivisch arbeiten wir zurzeit daran, bei den Landesverbänden des Chorverbandes und den regionalen Untergliederungen vergleichbare und akzeptierte Mindeststandards für die Ausbildungsreihe zu definieren. Darüber hinaus geht es u. a. um eine engere Vernetzung mit der professionellen Berufsausbildung an den Musikhochschulen und eine Aktualisierung der D-Lehrgänge auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen.
Vereine managen – Nachwuchs gewinnen
Nicht nur die musikalische Weiterbildung ist entscheidend für eine lebendige Chor- und Vereinsarbeit. Besonders auch der überfachliche Bereich, das Vereinsmanagement, benötigt Unterstützung und Kompetenz.
Alle Musikvereine stehen vor der Herausforderung, ihre Zukunft angesichts sich verändernder Rahmenbedingungen zu sichern und Nachwuchs zu gewinnen. Ein Problem, mit dem sie längst nicht allein dastehen. Der aktuelle Deutsche Freiwilligensurvey beschreibt, dass das Ehrenamt im Verein ein allgemeines Nachwuchsproblem hat. Interessant sind dabei die Hintergründe und Detailergebnisse, die bei der Zukunftsplanung eines Vereins helfen können. So wird zum Beispiel aufgezeigt, dass junge Menschen im Vereinsmanagement weniger aktiv sind, weil die Sorge vor der (juristischen, finanziellen, organisatorischen) Verantwortung sehr groß ist. Auch bewegen sich junge Erwachsene weniger gern in festen Strukturen, setzen sich für einzelne Projekte dafür umso engagierter ein. Dieses Wissen muss man nutzen. Bei Musikvereinen und Chören ist übrigens – im Gegensatz zu anderen Sparten – das ehrenamtliche Engagement von Frauen und Männern nahezu ausgeglichen. Damit kann man auch gerne einmal Vorbild sein.
Vor dem Hintergrund des Rückgangs an jungen Nachwuchsverantwortlichen bietet die Bundesakademie Trossingen aktuell eine Weiterbildung zur Vereinspilotin bzw. zum Vereinspiloten an, die im Herbst 2016 erstmals startet. Entstanden ist auch dieses Angebot aus dem Dialog mit der Praxis: Bei einem großen Ehrenamtsnetzwerktreffen an der Bundesakademie im Sommer 2016 mit mehr als 70 Verbands- und Vereinsvertreterinnen wurde über ideale Maßnahmen und Inhalte für eine Nachwuchsförderung und -sicherung nachgedacht. Das Ergebnis ist die Weiterbildung zur Vereinspilotin bzw. zum Vereinspiloten. Sie soll Menschen dafür qualifizieren, Vereinsverantwortliche bei der gesamten vereinsbezogenen Tätigkeit zu unterstützen.
Musik lässt Menschen wachsen
Veränderung braucht Bildung. Wer sich nicht weiterbildet, bleibt stehen, und bleibt hinter dem, was um ihn herum geschieht, weit zurück. Weiterbildung ist Zukunftssicherung für die gesamte Gesellschaft.
Für die Bundesakademie Trossingen ist die Weiterbildung auf musikpädagogischem Gebiet mit einem klaren bildungspolitischen Auftrag verbunden. Im Kinder- und Jugendplan des Bundes, der die Arbeit der Bundesakademie fördert, heißt es: „Kulturelle Bildung soll die Wahrnehmungsfähigkeit für komplexe soziale Zusammenhänge entwickeln, das Urteilsvermögen junger Menschen stärken und sie zur aktiven und verantwortungsvollen Mitgestaltung der Gesellschaft ermutigen.“
Diesen Anspruch teilen wir mit vielen Verbänden und gestalten ihn über Kooperationen und Partnerschaften. Die Zukunft unserer Gesellschaft liegt in den Händen der Kinder. Musik kann Brücken bauen, verbinden, Gemeinschaft schaffen und Kindern und Jugendlichen ganz eigene und individuelle Ausdrucksmöglichkeiten geben. Musik lässt Menschen miteinander wachsen, Neues entdecken und schaffen. Darum ist es so wichtig, dass alle, die dieses kreative Tun begleiten, gut ausgestattet, vorbereitet und qualifiziert arbeiten können.
Über den Autor
Direktor der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen
Seit 2001 an der Bundesakademie als Dozent u. a. für die Fachbereiche Ensembleleitung und Medientechnik
verantwortlich, übernahm er ab 2006 deren Leitung. Er war und ist selbst Leiter verschiedener Chöre, Ensembles und Orchester.