Zu den Wirkungen der Schülermentorenausbildung in Baden-Württemberg
Seit über zwanzig Jahren werden in Baden-Württemberg, auch im Bereich der Musikverbände, Schülermentorenausbildungen durchgeführt. Deren Wirksamkeit für Schüler, Schulen und Verbände untersuchte nun Professor Dr. Martin Weingardt von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. In Kooperation mit der Chorjugend im Schwäbischen Chorverband sowie mit Unterstützung der konfessionellen Jugendverbände entstand 2017 eine empirische Studie, deren wichtigste Ergebnisse hier vorgestellt werden sollen.
Zur Idee der Schülermentorenausbildung
Dass inner- und außerschulische Bildung zwei Bereiche sind, die nur wenig miteinander zu tun haben, diese Ansicht wurde im 20. Jahrhundert lange vertreten. Bereits vor 30 Jahren jedoch wurden im Bereich des Sports erste systematische Kooperationen mit der Schule entwickelt, seit 1994 auch die Idee einer „Schülermentorenausbildung“, die wenig später von der konfessionellen Jugendarbeit und den Musikverbänden aufgenommen wurde. Kerngedanke ist, Jugendlichen durch ein Zusammenwirken mit der Schule und Fachlehrkräften Zugänge zu einer qualifizierten fachlich-spezifischen Ausbildung bei den Verbänden zu eröffnen, die sie zur anschließenden Übernahme von (Mit-)Verantwortung im Bereich der Schule oder auch der Verbände befähigt. Das diese Ausbildungen unterstützende Ministerium für Kultus, Jugend und Sport (vgl. MKJS 2018) zählt inzwischen 13 verschiedene Mentorenausbildungen in den Bereichen Sport, konfessionelle Jugendarbeit, Musik, Natur und Umwelt, Verkehr, Bildende Kunst, Medien, Suchtprävention, Rettungswesen, Technik, Politik, Kulturelle Jugendbildung: offensichtlich kam und kommt die Mentorenidee an der Basis gut an. Inzwischen werden mit wachsender Tendenz laut MKJS über 5.000 Jugendliche jährlich in Mentorenprogrammen ausgebildet, dabei die meisten davon im Bereich der konfessionellen Jugendverbände sowie in Sport und Musik, die gemeinsam landesweit fast 80% der Mentoren schulen.
Durchführung einer empirischen Untersuchung
Ziel der Erhebung war, zu untersuchen wie sich die Mentorenausbildung nun hinsichtlich des schulischen und außerschulischen Engagements und auf die berufliche Perspektivenbildung der Jugendlichen auswirkte. Um zugleich feststellen zu können, ob die diversen Mentorenprogramme ähnlich wirken oder ob sich Differenzen feststellen lassen, wurden drei verschiedene verbandliche Mentorenausbildungen vergleichend untersucht. Im Verfahren werden also sowohl Fakten etwa zum Einsatz als Schülermentor, als auch subjektive Rekonstruktionen zur Bedeutsamkeit verschiedener Erfahrungen und Handlungen sowie ihrer inneren Zusammenhänge erhoben. In statistischen und qualitativen Verfahren wurden die Daten analysiert.
Im Erhebungszeitraum 4. Juli bis 12. August 2016 wurden sämtliche im Zeitraum 2000-2012 vom SCV ausgebildeten 421 Chormentoren und -mentorinnen angeschrieben und jahrgangsweise auch Schülermentoren und -mentorinnen1, die über das Evangelische Jugendwerk in Württemberg (387) und in den Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Freiburg über KSJ/BDKJ (424) ausgebildet worden waren. Die Befragten konnten über einen Online-Fragebogen oder in Papierform ausdruckbare Fragebögen antworten, die insgesamt 37 Fragen bzw. Items enthielten.
Der Rücklauf lag bei 16% der insgesamt 1232 Kontaktierten, was bei dieser Art von Erhebung als sehr zufriedenstellend gilt. Der Rücklauf bei den Musikmentoren war leicht stärker als bei den anderen Programmen. Insgesamt bildet das entstandene Sample aber die drei Verbandsprogramme als auch die Alters- und Geschlechterverteilung der angeschriebenen Grundgesamtheit (419 männlich, 813 weiblich) entsprechend ab.
Rückblick auf die eigene Schülermentorenausbildung
Von den Chormentoren wurde das Erwerben von fachlich-musikalischen Kompetenzen (z.B. Dirigierpraxis, Probenorganisation) besonders häufig als wichtiges Element unterstrichen. Zugleich wurde die Heterogenität unter den einzelnen Teilnehmern bei den gegebenen fachlichen Voraussetzungen/Kompetenzen teilweise bei den Mentoren der KSJ (17%) und des SCV (8%, etwa hinsichtlich der unterschiedlichen musikalischen Voraussetzungen) als Problem empfunden.
Die Gruppendynamik und die Atmosphäre an den Ausbildungswochenenden empfand bzw. erinnert knapp die Hälfte der Chor- und KSJ-Mentoren sehr positiv, etwa „(..) die fortlaufende Gruppe, der Kontakt zu Gleichaltrigen, daraus hat sich auch eine lang andauernde Freundschaft entwickelt.“ (Chormentorin 236 /Jg. 2002)
Mentoreneinsatz im schulischen Kontext
Generell lässt sich feststellen, dass die Mentoren der KSJ (62%) und die Chormentoren (55%) nach der Ausbildung in der Schule relativ gut in Anschlusstätigkeiten fanden, während die EJW-Mentoren hier etwas weniger zum Einsatz kamen (45%).
Von den Chormentoren unterstützte dabei knapp die Hälfte der Befragten die schulischen Chorleiter bei der Probentätigkeit, ein Sechstel übernahm sogar die eigenverantwortliche Leitung eines Chores. Manche nahmen gar auf vielfältigen Ebenen Verantwortung etwa „für die gesamte Chorarbeit in der Schule (Singeklassen, Unterstufenchor, Mittel- und Oberstufenchor, Musikzug und Ensembles)wahr. Zuletzt als eigenständige und bezahlte Leiterin der Singeklassen und der Unter-stufenchorarbeit als Elternzeitvertretung einer regulären Fachkraft.“ (Chormentorin 94/Jg. 2012)
Länger als ein Jahr sind von den schulisch engagierten SCV-Mentoren 41%, von den EJW- bzw. KSJ-Mentoren sogar 60% bzw. 63% engagiert. Bei ihrer Tätigkeiten innerhalb der Schule wurden die Chormentoren von Lehrkräften und Schulleitung nicht stets, aber überwiegend unterstützt – mit positiver Tendenz seit 2010! 50% der Chormentoren stimmten bei dieser Frage voll oder teilweise zu. Auch bei den Mentoren der KSJ wurde viel Unterstützung seitens der Lehrkräfte zurückgemeldet (63%), während dies bei den EJW-Mentoren nur selten der Fall war.
Engagement in außerschulischen Bereichen
Über 83% der Mentoren/-innen aus allen Verbänden zusammen genommen hatten bzw. fanden Zugang zu einem Engagement im inner- oder im außerschulischen Bereich. Im außerschulischen Feld (45%) kamen die Chormentoren nicht ganz so häufig zum Einsatz wie im schulischen Umfeld. Immerhin leitete aber ein Drittel der Chormentoren nach der Mentorenausbildung außerhalb der Schule – meist im Vereinsbereich – einen Chor in Eigenverantwortung oder als Stellvertreter/in. Einige von ihnen sind bis heute außerschulisch aktiv. Knapp ein Viertel aller Befragten en-
gagierte sich nach der Ausbildung sogar in beiden Tätigkeitsfeldern, also inner- und außerschulisch. Dieser Anteil war mit 28% bei den KSJ-Mentoren am höchsten (21% der EJW-Mentoren, 24% der Chormentoren).
Beim männlichen Teil der Befragten ist die gelungene Anschlussfindung in eine verantwortliche Tätigkeit noch etwas stärker nachweisbar als bei den ausgebildeten Mädchen, vor allem bei den Mentoren des EJW ist das auffällig. Nach Aussage der Befragten beim SCV war die Chormentorenausbildung dabei bei ca. 25% aller Befragten ausschlaggebender Impuls für einen Einstieg in ein schulisches oder außerschulisches Engagement. Andere engagierten sich aber auch unabhängig von dieser Ausbildung bereits davor oder danach.
Mentorenausbildung als besondere Chance für Jugendliche mit Migrationshintergrund
21% der Mentoren im SCV und 28% in EJW und in KSJ weisen einen Migrationshintergrund (d.h. mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren) auf, was im Schnitt etwas unter deren Anteil in den Alterskohorten in B.-W. liegt, doch angesichts der oft belegten Distanz von Migranten zur organisierten Vereins-/Jugendarbeit ein erstaunlich hoher Wert ist. In der Erhebung fie-len die Mentoren mit einem Migrationshintergrund an etlichen Stellen positiv auf, beispielsweise bei der außerschulischen Anschlussfindung (ca. 60% gegenüber nur knapp 50% bei Befragten ohne Migrationshintergrund). Zudem sind die Mentoren mit Migrationshintergrund noch häufiger (nämlich 35% gegenüber nur 20% der Personen ohne Migrationshintergrund) bis heute noch in einem entsprechenden verbandlichen Arbeitsfeld engagiert.
Die Studie zeigt also, dass die Mentorenausbildung für migrantische Jugendliche besonders gut Zugänge zu Formen des Engagements auch im Freizeitbereich eröffnet. Für Eltern mit Migrationshintergrund, die aus ihren Herkunftsländern die organisierte Vereins- und Verbandsarbeit kaum kennen, scheint der Anschluss an die staatliche Schule eine gewisse Autorität bzw. ein Vertrauen in das Programm zu erzeugen. Die Teilnahme der eigenen Kinder am Programm wird eher unterstützt. Im Kontext der verschiedenen Konzepte außerschulischer Jugendbildung zeigt die Schülermentorenausbildung so ein besonders hohes soziales Anschluss- und Integrationspotenzial.
Auswirkungen der Schülermentorentätigkeit auf Berufsperspktiven
Bei den Chormentoren war der Anteil der Personen, die danach eine affine berufliche Laufbahn im musikalischen oder schulischädagogischen Bereich einschlugen, noch höher als bei den anderen Verbänden: etwa ein Drittel der Chormentoren entschied sich für einen beruflichen Weg in einem solchen Arbeitsfeld. Da ein Großteil (ca. 85% der Chor- und EJW-Mentoren, 67% der KSJ-Mentoren) sich bereits auch unabhängig vom Mentorenprogramm im außerschulischen Bereich engagierte, wäre diese Erklärung der Berufswahl vor allem mit Impulsen der Mentorenschulung problematisch. Diese stellt vielmehr einen von mehreren Impulsgebern dar, die in ihrer Summe schließlich dazu motivieren:
„Ich bin mittlerweile Realschullehrerin mit dem studierten Hauptfach Musik und leite den Schulchor für Klasse 7-10. Ohne die Chormentorenausbildung hätte ich wohl trotzdem Musik studiert, aber mich vielleicht nicht (gleich als Berufsanfänger) für die Chorleitung interessiert.“ (Chormentorin 59, Jg.2002)
Schlussfolgerungen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Chormentorenausbildung
Die Erfassung der fachlichen Vorkenntnisse und -erfahrungen sowie der Motive einer Teilnahme an der Mentorenausbildung bereits bei der Anmeldung könnte eine passgenauere gruppenspezifische Profilierung der Mentorenausbildung ermöglichen.
Tendenziell werden von den Chormentoren während der Ausbildungswochenenden etwas weniger fachlich-theoretische Einheiten/Inputs und mehr Möglichkeiten zum individuellen Erwerben bzw. Einüben der neu erworbenen Kompetenzen gewünscht. Etwa 12% gaben dies als Verbesserungsvorschlag an: „Evtl. etwas mehr Praxis, Übung bzw. Routine im Bereich Chorleitung, sodass jeder sicher und selbstbewusst vor dem Chor stehen kann und eine ordentliche Probe in seiner Art liefern kann. Oder in dem Zusammenhang eine etwas konkretere Erarbeitung eines klaren Konzepts, mit dem man an z.B. eine Probe herangeht. […]“ (Chormentor 164, Jg. 2010)
Die EJW-Mentoren gaben signifikant häufiger (60% im Vergleich zu 36% der Chormentoren und 50% der KSJ Mentoren) an, dass sie das am Ende der Ausbildung erhaltene Zertifikat im Laufe ihrer Berufslaufbahn gewinnbringend bei Bewerbungen einsetzen konnten. Dies hängt sicher mit der stärkeren Betonung der sozialen Kompetenz- und Verantwortungsbildung bei den Schulungsinhalten und deshalb bereits auch im Titel dieses Programms „Soziale Verantwortung lernen“ (vgl. Weingardt u.a. 2000) zusammen. Deren stärkere Förderung event. auch im Musikmentorenprogramm wäre zu überdenken.
Die individuelle Beratung und Begleitung im Anschluss an die Ausbildung ließe sich dementsprechend noch weiter intensivieren. Eine frühzeitige Information bereits Monate vor Schuljahresende würde Schulen wie Vereinen ermöglichen, Anschlusstätigkeiten im Folgeschuljahr anzudenken und den Mentoren vorzuschlagen. Das Angebot einer Telefonberatung mit den Schulungsleitungen könnte dabei zuvor etwa Stärken wie Grenzen eines Schülermentoren verdeutlichen und helfen die Zuweisung unter- oder überfordernder Tätigkeiten zu vermeiden.
Nicht wenige der Mentoren etwa des SCV wünschten sich gelegentliche vertiefende Anschlusstreffen zur Ausbildung, die auch Ausbildungsjahrgänge übergreifend denkbar wären.
Die Schulen sollten noch gezielter über zu Mentoren ausgebildete Schüler informiert, zu deren Einbindung in schulische Engagements angeregt bzw. dabei begleitet werden, ohne die Schülermentoren in überfordernde schulische Verantwortungsübernahmen zu drängen. Gerade bei den EJW-Mentoren fiel auf, dass sie nur sehr wenig Unterstützung durch Lehrer oder Schulleitung erfuhren und bei ihren schulischen Engagements häufig auf sich alleine gestellt waren.
Das Mindestalter für die Chormentorausbildung ist aus nachvollziehbaren fachlich-pädagogischen Gründe bislang 16 Jahre.
Gleichzeitig bedeutet dies, dass Jugendlichen in nicht-gymnasialen Bildungsgängen, die im 10.Schuljahr enden, allenfalls ein Durchlaufen der Mentorenausbildung, selten aber ein anschließender innerschulischer Einsatz als Schülermentor möglich ist. Über Einsatzfelder für etwas jüngere Mentoren etwa im Team mit Lehrkräften, Vereinsmitarbeitern oder älteren Musikmentoren und entsprechende Ausbildungsmodule könnte nachgedacht werden.
Bleibt noch festzustellen, dass vertiefende Studien etwa zu diversen Formen des Einsatzes und der Begleitung von Schülermentoren im schulischen Kontext wünschenswert wären. Zudem würde eine Einbeziehung weiterer Mentorenausbildungen z.B. aus dem Sport ermöglichen eine noch breitere Fundierung und zugleich Ausdifferenzierung der empirischen Befunde zu erzielen.
Insgesamt verdeutlichen die bereits vorliegenden Ergebnisse eine erkennbare hohe Attraktivität und multidimensionale Wirksamkeit der untersuchten Programme sowohl für die Jugendlichen, als auch die beteiligten Schulen und außerschulischen Bildungsträger. Ein weiterer Ausbau dürfte für alle Beteiligten von Interesse sein, nicht zuletzt weil angesichts des Mitteleinsatzes bislang ein sehr günstiges Verhältnis von Aufwand und Ertrag gegeben zu sein scheint, das nicht jeder Bildungsmaßnahme in diesem hohen Maße beschieden ist.
Prof. Dr. Martin Weingardt
Johannes Lux
Literatur
Johannes Lux / Martin Weingardt: Sprungbrett ins Leben. Zur biografischen Wirksamkeit außerschulischer Engagement- und Lernfelder. Eine empirische Studie zur Schülermentorenausbildung des Schwäbischen Chorverbands und der konfessionellen Jugendverbände in Baden-Württemberg. Pädagogische Hochschule Ludwigsburg 2017
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: Schülermentorenausbildungen in Baden-Württemberg. http://www.km-bw.de/,Lde/Startseite/Schule/Schuelermentorenprogramme (1/2018)
Martin Weingardt/Uwe Böhm/Sabine Willrett/Friedemann Stöffler: Soziale Verantwortung lernen. Ein Schülermentorenprogramm von Jugendarbeit und Schule. Stuttgart 2000.
Anmerkungen
1: Wenn im Text aus Gründen der sprachlichen Komprimierung nur eine Geschlechtsform verwendet wird, sind dennoch beide Geschlechter gemeint
2: 1 = trifft nicht zu, 5 = trifft voll zu
Prof. Dr. Martin Weingardt war als Dipl.-pädagoge in der Jugendarbeit und als Lehrer im Schulbereich tätig. 1989-1993 führte er mit dem Kultusministerium und dem Evang. Jugendwerk (ejw) das landesweite Pilotprojekt „Jugendarbeit und Schule“ durch, 1996 wurde er von ejw und Ministerium mit der Entwicklung des Schülermentorenprogramms „Soziale Verantwortung lernen“ beauftragt. Seit 2001 vertritt er die außerschulische Jugendbildung im Landesschulbeirat. Seit 2004 lehrt und forscht er als Professor für Erziehungswissenschaft an der PH Ludwigsburg.
Johannes Lux war Sänger bei den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben und Mitarbeiter in der kommunalen und der katholischen Jugendarbeit. Als wissenschaftliche Kraft bei Professor Weingardt war er 2016/17 an der Erhebung zur Mentorenausbildung und Erstellung der Studie „Sprungbrett ins Leben“ maßgeblich beteiligt. Als angehender Lehrer ist er jetzt im Schulbereich tätig.