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Singen & Stimme, SINGEN 2019-01

Ist pop im Chor wertvoll?

Tabea Raidt
1. Januar 2019

Zum Thema Qualität im Popchor

Situation Nummer eins: ich sitze bei einem dieser Herbstkonzerte am Tisch mit mehreren weiteren ChorleiterInnen. Ein – aus meiner Sicht – außergewöhnlich guter „Junger Chor“ hat gerade auf der Bühne sein erstes Stück präsentiert. Rhythmisch anspruchsvoll, mit guter Intonation, a-cappel-la und unverstärkt ein interessantes close-harmony-Arrangement eines aktuellen Popstücks. Ich klatsche begeistert. Der ältere Chorleiter-Kollege von gegenüber, mit dem ich in der Pause nett geplaudert hatte, schaut angewidert und meint „Wie kann man nur sowas singen? Das klingt ja furchtbar“. Ich bin irritiert und frage freundlich nach. Ihm gefällt die Stückauswahl nicht: „Dieses Pop-Zeug muss man doch nicht singen“. Und er mag das Arrangement nicht: „Immer diese sinnlosen Texte und Silben“. Vermutlich meint er die rhythmischen Vokalisen.

Situation Nummer zwei: ich sitze in einer Besprechung, in der es um die Weiterentwicklung innovativer Konzerte sowie die Auswahl zu fördernder Chorprojekte geht. Mit am Tisch wiederum einige weitere ChorleiterInnen. Ich lausche zunächst den Vorschlägen der KollegInnen. Ein eher unbekanntes Stück von Bach mit Sinfonieorchester. Ein Konzert mit Werken der Romantik von KomponistInnen aus der Region. Ein Knabenchor gemeinsam mit zwei Erwachsenenchören. Anhand einiger solcher Beispiele wird lebhaft diskutiert, inwiefern die Projekte innovativ sind und gefördert werden sollten. Ich lanciere mein Beispiel: ein örtlicher „Junger Chor“ plant ein Rockkonzert mit einer regional bekannten Band, es entstehen Kosten für die professionelle Ausleuchtung und Tontechnik. Diesmal sind meine Gegenüber irritiert: „Wozu soll man denn so einen banalen Quatsch fördern?“. Ich denke, dass dieses Konzert innovativ wäre, weil es einfach nicht üblich ist, einen „normalen“ Chor wie bei einem Pop-Konzert zu präsentieren. Und dass es Menschen für Chormusik begeistern könnte, die damit sonst wenig anfangen können.

In meinem Alltag als Chorleiterin und in meinen weiteren Funktionen im Chorleben stoße ich immer wieder auf ein massives Spannungsverhältnis zwischen dem, was als musikalisch „wertvoll“ erachtet wird, und dem, was in vielen Amateurchören im Land gesungen wird. Selbst Chöre mit eher hohem Altersdurchschnitt singen mittlerweile ja eher Udo Jürgens als Silcher. Die zahlreichen „Jungen Chöre“ singen modernere Literatur, ebenfalls der Großteil der Kinder- und Jugendchöre. Ich möchte an dieser Stelle auf keinen Fall bewerten, ob dies eine gute oder eine schlechte Entwicklung ist. Und um es ganz deutlich zu sagen:
Ich persönlich liebe „alte Musik“ und singe sie neben aktueller Literatur mit allen meinen Chören egal welcher Art.

Was ich aber sehr gerne bewerten möchte, ist die Qualität, in der moderne Literatur, nennen wir sie mal Pop-Literatur, die gesungen wird. Also von Schlager über Pop, Rock, Musical und Gospel bis hin zu den aktuellen Arrangements bekannter Vokal-Bands. Von Maierhofer bis Oliver Gies und Jens Johansen. Ich leide sehr, wenn Popmusik lahm vorgetragen, schlecht intoniert und falsch ausgesprochen wird. Ich habe das Gefühl, dass in Popmusik weniger Mühe investiert wird als in alte Musik. Ich habe das Gefühl, dass viele ChorleiterInnen mit wenig Begeisterung an diese Musik rangehen, „weil es das Publikum halt hören will“. So entsteht im Mittel und in Summe tatsächlich der Eindruck, dass Popmusik im Chor nix taugt – weil es eben nicht klingt.

 

Was müssen Chorleitung und Chor können und leisten, damit es gut klingt?

Sie brauchen Rhythmusgefühl bzw. „Groove“, Intonation, Verständnis für erweiterte Harmonien, Dynamik, Kenntnisse zur Aussprache, Kompetenz in unterschiedlichen Stimmfärbungen bzw. „Vocal Modes“ und nicht zuletzt eine fundierte Meinung zum Thema technische Verstärkung.

 

Rhythmusgefühl / Groove

Nach den ersten Takten sollte die Chorleitung auf der Bühne den Rhythmus des Stücks eigentlich nicht mehr mit den Armen dirigieren müssen. Wenn Chorleitung und Chor ein gutes Rhythmusgefühl haben, sollte der Rhythmus des Stücks am Körper der Chorleitung und aller SängerInnen zu sehen sein. In der klassischen Chorleitung ist es ja fast schon verpönt, beim Dirigat mehr als die Arme in Vierteln zu bewegen. In der Pop-Chorleitung gilt das Gegenteil. Die „Subdivisions“, also mindestens Achtel, gerne auch Sechzehntel sollten in Armen und Körper zu sehen sein (zum Lesen empfehle ich Martin Carbow: Chorleitung Pop Jazz Gospel; zum Anschauen empfehle ich Videos des „Bonner Jazzchor“ z. B. auf Youtube, mit der Chorleiterin Sascha Cohn).

Ebenso wichtig ist es aber, dass der Chor „den Groove spürt“, also selbst ein Bewegungsgefühl für den entsprechenden Rhythmus hat. Wenn das der Fall ist, erübrigt sich oft eine „Choreografie“ für die Sänger:innen, weil die Bühnenpräsenz sich überzeugend bewegender SängerInnen deutlich höher ist als es eine eingeübte Abfolge von Bewegungen leisten kann. Die Konzepte von Offbeat, Swing, Phrasierung und Synkopen sollten mindestens der Chorleitung, gerne auch dem Chor, vertraut sein.

 

Intonation

Intonation braucht eine gewisse Ernsthaftigkeit und Disziplin. Das Proben von Popstücken soll aber oft Spaß machen. Dieser Spagat fordert die Chorleitung, aber auch die SängerInnen heraus. Bewegung beim Singen (siehe oben) sowie andere stimmliche Klangfarben (siehe unten) fordern wiederum einen jeweils besonderen Fokus auf die Intonation. Der Klassiker: ein Stück oder eine Passage ist eher tief gesetzt, darf laut gesungen werden und macht gute Laune – einige Sängerinnen wechseln (unkontrolliert) in die Rufstimme, andere nicht und es klingt plötzlich unerklärlich gruselig.

Die SängerInnen sollten also bewusst in der Stimmfärbung proben, in der sie später das Stück präsentieren wollen, und in dieser Stimmfärbung an der Intonation arbeiten. Das gilt aus meiner Sicht übrigens sowohl a cappella als auch fürs Singen mit Klavier. Es lohnt sich, auch Stücke, die mit Klavier gesungen werden sollen, immer wieder a cappella zu proben, um sicherzustellen, dass die Intonation nicht nur vom Klavier getragen wird.

 

Harmonien

Popmusik lebt von reichen Harmonien, also vier-Klängen statt drei-Klängen, Akkorde mit Septimen, Nonen und weiteren Ergänzungen. Es gibt zahlreiche vereinfache Arrangements, die auf diese Erweiterungen verzichten, da sie für die Chöre schwieriger zu singen sind. Erweiterte Harmonien sind jedoch seit dem Jazz Markenzeichen populärer Musik, und es ist eigentlich schade, diese Weiterentwicklung in der Klangvielfalt
zu ignorieren. Alle Arrangements bekannter aktueller Chöre und Vokalbands aus dem Popbereich nutzen erweiterte Harmonien als prägendes Stilmittel, oft auch als „close Harmony“ bezeichnet. Daher rührt auch oft die Bezeichnung als „Jazzchor“, obwohl dort eigentlich keine Jazzstücke gesungen werden. SängerInnen in durchschnittlichen Pop-Chören sind diese Klänge zwar passiv aus dem Radio bekannt, doch selbstbewusst
eine Septime zu singen ist wieder eine ganz andere Sache. Es braucht in der Chorprobe also gezielte Übungen, um „enge Klänge“ hören, singen und genießen zu lernen.

 

Dynamik

Popmusik ist nicht per se laut! Im Gegenteil, es gibt wunderschöne nachdenkliche und kritische Stücke, die nur leise wirken. Und auch laute Stücke wirken wesentlich besser, wenn es darin leise Passagen gibt, das gilt wohl in jeder Stilrichtung. Doch an dieser Stelle kommen die Herausforderungen der Intonation und der Modi zusammen: von einer leisen Passage in neutraler Stimmfärbung in eine laute Passage mit scharfem Stimmklang zu wechseln, bedeutet eine hohe Anforderung an die Intonation. Auch das muss gezielt in der Chorprobe thematisiert und geübt werden.

 

Aussprache

Viele selbstverständliche Ausspracheregeln aus der „alten Musik“ gelten in der Popmusik eher nicht. Am prominentesten ist sicherlich die Frage, welche Silben bei langen Tönen klingen sollen. Der Text „er singt langsam“ würde klassisch ja beispielsweise als „e_ rsi_ ngtla_ ngsa_ m“ klingen. Es klingen also die Vokale, die folgenden Konsonanten werden so spät wie möglich gesungen und an das folgende Wort vorangestellt. In einem Pop-Stück sollten hingegen der letzte Teil einer Silbe klingen, wenn er klingen kann.

Also im obigen Beispiel: „e_ rsing_ tlang_ sa_ m“. Dies ist umso wichtiger bei Vokalisen wie „dum“ oder „dan“, da dort keinesfalls der Vokal klingen sollte. Im Gegenteil, bei den Vokalisen wird der Vokal bestenfalls verschluckt und der folgende Konsonant klingt, also „dmmm“ und „dnnn“.

Mindestens ebenso wichtig ist der sogenannte Glottisschlag bei Wörtern, die mit Vokal beginnen. Das Wort beginnt also nicht mit offener  Stimmritze, sondern mit geschlossenen Stimmbändern. Um herauszufinden, was das bedeutet, empfehle ich, das Wort „Apfel“ zu sprechen. Beim Sprechen ist ganz klar, dass „Apfel“ mit einem Verschlusslaut, einer Art Knacken beginnt. Wenn nun der Text „ein Apfel“ im modernen Stil gesungen werden soll, darf es also nicht nach „hei napfel“ klingen, sondern der „Apfel“ muss nach dem klingenden „n“ neu angesetzt werden.

Je nach Sprache und Musikstil sind diese Ausspracheregeln unterschiedlich und eine Chorleitung sollte sich mit dieser Frage gezielt beschäftigen, damit dieses Charakteristikum von Popmusik zur Geltung kommen kann. Besonders spannend finde ich es, die „neuen“ Ausspracheregeln bei alten Volksliedern anzuwenden. Ich empfehle hier die zweite Strophe von „Der Mond ist aufgegangen“ („Wie ist die Welt so stille“), weil dort so häufig „n“, „l“ und „m“ zum Klingen kommt, und schon das zweite Wort per Glottisverschluss vom ersten getrennt werden sollte.

Chorleitung, Pop, Singen
Ist pop im Chor wertvoll?
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