Ansichten eines verdammt inkonsequenten Hardliners
Liebe Leser,
gehören Sie auch zu denen, die sich darüber aufregen, dass im Frühherbst schon Schokoladennikoläuse, Spekulatius und Adventskalender in den Auslagen der Supermärkte stehen? Dann sollten Sie jetzt weiterlesen. Denn genau darum soll es hier gehen. Nicht nur im Supermarkt, auch in den zahlreichen Weihnachts- und Adventskonzerten gibt es so einige Dinge an denen man sich reiben könnte. Für den Liturgen ist die Quintessenz eigentlich ganz einfach: Advent ist nicht Weihnachten.
Grundlegendes zum evangelischen Kirchenjahr:
Das (evangelische) Kirchenjahr beginnt mit dem ersten Advent (oder dessen Vorabend) und umfasst den Advents-und Weihnachtsfestkreis, die Sonntage vor der Passionszeit, die Passionszeit selbst, den Osterfestkreis, Pfingsten mit Trinitatis, die sogenannte „festlose Zeit“ nach Trinitatis und das Ende des Kirchenjahres mit dem Ewigkeitssonntag (katholisch und umgangssprachlich „Totensonntag“ genant).
Der erste Abschnitt des Kirchenjahres ist eine Zeit der Vorbereitung auf das Kommen Christi, das naturgemäß mit dem Weihnachtsfest verknüpft ist. Am deutlichsten wird das am Brauchtum des Adventskalenders sichtbar. Das Warten und die (innere, persönliche) Vorbereitung auf das Weihnachtsfest spiegeln sich in den 24 Türen des Kalenders. Kinder fragen häufig: „wie oft muss ich noch schlafen, bis Weihnachten ist?“. Wir scheinen immer mehr zu verlernen, das Kirchenjahr auch als „innere Jahresuhr“ wahrzunehmen, so sehr sind wir schon am Ende des Kirchenjahres auf Heiligabend fixiert.
Ein wenig Sensibilität für das Thema
Was heißt das nun für unsere Chöre? Für Ihre Konzertprogramme möchte ich Sie ein wenig sensibilisieren. Ich weiß, dass auch wir Chöre und Chorleiter sehr stark von äußeren Zwängen geleitet werden, schließlich schaffen es die wenigsten Chöre, ihre Weihnachtskonzerte am 25. Dezember zu machen. Und selbst wenn, wäre es spannend, ob überhaupt Publikum anwesend wäre. Ich selbst werde dieses Jahr das Bach‘sche Weihnachtsoratorium in Ludwigsburg aufführen, leider am 2. Advent. Das ist genaugenommen ein Datum, an das ein Weihnachtsoratorium überhaupt nicht hingehört. Anders waren aber die wenigen Termine vor Weihnachten nicht auf die vielen musikalischen Gruppen zu verteilen.
Nicht alles was klingt passt auch
Ich selbst entdecke an mir immer wieder Züge eines liturgischen Hardliners. Vor allem, wenn schon ab dem ersten Advent „Ihr Kinderlein kommet“ oder „Es ist ein Ros entsprungen“ in Aufnahmen hochkarätiger Knabenchöre aus dem Radio schallen, bekomme ich die Vollkrise. Der Advent ist für mich mit bedeutungsschwangeren Phrasen besetzt wie „Machet die Toret weit“, „Nun komm der Heiden Heiland“, „Rorate coeli“ oder „Kommst du, Licht der Heiden“, nicht mit dem (etwas zugespitzt) weichgespülten süßes-Kindlein-in-der-Krippe-liegend-Bild oder dem ikonischen „Jauchzet, frohlocket“.
Wie also umgehen mit den vielen limitierenden Faktoren und der inneren Unruhe über den Verlust des Sinnes für das Kirchenjahr?
Der Versuch einer akzeptablen Lösung
Für mich gibt es zwei gangbare Wege, diese
Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen. Der erste ist der ganz konventionelle: ein Adventskonzert, das den Weg vom Ende des Kirchenjahres („Es ist gewisslich an der Zeit“ oder „Wachet auf, ruft uns die Stimme“) über den Advent („Bereitet dem Herrn den Weg“ oder „Comfort ye my people“) bis Weihnachten darstellt. Der erste Teil aus Händels „Messiah“ zeichnet genau diesen Weg mustergültig nach. Statt einfach Weihnachtslieder für das Adventskonzert aneinanderzureihen wäre es doch klug, diese Schritte en miniature nachzugehen und den Zuhörer mit auf eine Reise durch den Advent und die christliche LichtSymbolik mitzunehmen.
Die zweite, viel interessantere Idee ist es, das Weihnachtskonzert im Januar zu machen. Da hat niemand mehr Stress, die Familienfeiern sind vorbei und es ist immer noch Weihnachten. Zumindest aus protestantischer Sicht endet der Weihnachtsfestkreis erst nach der Epiphaniaszeit, im vergangenen Jahrtausend spätestens am 2. Februar. Theoretisch wäre ein Weihnachtskonzert also nur ein Weihnachtskonzert, wenn es zwischen dem 25. Dezember und dem 2. Februar stattfindet. Dieses Modell habe ich letztes Jahr gefahren, und es kam bei Chor und Zuhörern an. Je weiter man sich natürlich vom Sonntag Epiphanias entfernt, umso weniger weihnachtlich werden zwar die Proprien, umso weiter öffnet sich aber auch das Repertoirefeld, aus dem man schöpfen kann. Warum also nicht? Ist immerhin Jacke wie Hose….
Nikolai Ott