– Projektmanagement im interkulturellen Bereich
Von der Idee zum Miteinander
Interkultur ist eines der Schlagworte unserer Zeit. Immer mehr Vereine beschäftigen sich mit der Frage, wie können wir uns interkulturell öffnen, und stellen verschiedenartige Projekte auf die Beine. Und das ist auch gut so. Schwierig wird es jedoch dann, wenn der interkulturelle Aspekt eines Projekts zum reinen Selbstzweck wird, anstatt dass der Fokus darauf liegt, worum es im Verein wirklich geht: gute Musik und ein fröhliches Miteinander in der Freizeit.
Was wollen Sie erreichen? Worauf haben Sie Lust?
Wie bei jedem anderen Projekt, so gilt auch bei interkultureller Arbeit: Seien Sie sich darüber bewusst, was Sie damit erreichen wollen. Was ist Ihr Ziel: Geht es Ihnen tatsächlich um eine unmittelbare Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen, oder wollen Sie Ihrem nächsten Konzert einfach nur einen exotischen Touch verleihen? Beides hat seine Berechtigung – nichts spricht dagegen, eine oder mehrere Gruppen mit Musik aus anderen Ländern zu einem Auftritt bei Ihrem Konzert einzuladen, ohne im Vorfeld einen direkten Kontakt zwischen den teilnehmenden Gruppen zu fokussieren.
Geht es Ihnen jedoch um einen interkulturellen Austausch, so ist viel Leidenschaft, Fingerspitzengefühl und am besten auch eine gewisse Vorerfahrung gefragt. Überlegen Sie zuallererst, auf was für eine Art von Projekt Sie am meisten Lust haben – und auch, auf welche Art von Musik: Soll Musik aus verschiedenen Ländern gespielt werden, sollen in einzelnen Stücken verschiedene kulturelle Einflüsse zu spüren sein oder arbeiten Sie lieber „transkulturell“, also mit einer musikalischen Mischung, so dass eine ganz eigene Musikrichtung entsteht? In der Ideenfindungsphase ist erst einmal alles erlaubt, deshalb hier das ausdrücklich Plädoyer zum Erträumen Ihres Traumprojekts. Arbeiten Sie hierbei auch gerne im Team. Nehmen Sie sich Zeit dafür und haben Sie Spaß dabei. Denn: Nur wenn Sie selbst für Ihre Projektidee „brennen“, werden Sie andere damit anstecken und das Projekt zum Erfolg bringen.
Was brauchen Sie für die Umsetzung des Projekts und was ist machbar?
In dieser Phase analysieren Sie, ob und wie Ihre Projektidee umgesetzt werden kann. Wie viel Manpower wird benötigt? Welches Material? Räumlichkeiten? Wie viel Budget, etc.? Neben der Klärung dieser „hard facts“ ist auch die Frage nach den Soft Skills sehr wichtig. Fühlen Sie sich der Arbeit mit einer internationalen Gruppe gewachsen bzw. haben Sie jemanden, der dies kann? Sind Sie sich unsicher, ob und wie Ihr Projekt gelingen kann, zögern Sie nicht, sich bereits möglichst früh Unterstützung zu holen. Dies ist insbesondere dann empfehlenswert, wenn Sie selbst noch nie an einer interkulturellen Veranstaltung aktiv teilgenommen oder sie organisiert haben.
Überlegen Sie, wer in Ihrem Bekanntenkreis bereits ähnliche Projekte durchgeführt und/oder mit internationalen Gruppen gearbeitet hat. Oder informieren Sie sich, welche ähnlichen Veranstaltungen es in letzter Zeit gab und bitten Sie die Verantwortlichen um ein Gespräch, um ein wenig Know-How oder auch personelle Empfehlungen zu erhalten. Scheuen Sie sich nicht, diese Personen zu kontaktieren und Fragen zu stellen. Im schlimmsten Falle hat jemand keine Zeit. Davon abgesehen aber sollte gelten: Arbeitet jemand seine interkulturellen Projekte nicht nur routinemäßig ab, weil es eben sein Job ist, sondern ist wirklich überzeugt davon, dass es in der heutigen Gesellschaft kaum genug interkulturelle Begegnungsinitiativen geben kann, so wird er solchen Anfragen grundsätzlich sicher offen gegenüberstehen.
Während der Analyse bzw. der allmählichen Konkretisierung im Hinblick auf die Umsetzung Ihres Projekts sollte Ihre ursprüngliche „Traum-Projektidee“ auf ein machbares Maß nachjustiert werden. Verlieren Sie dabei jedoch nicht Ihr anfangs festgelegtes Ziel, also das, worum es Ihnen wirklich geht, aus den Augen – es sei denn natürlich, es hat sich mitterweile ein noch besseres (weil z. B. noch sinnvolleres) Ziel ergeben.
Wie finden Sie Teilnehmende und was ist bei der inhaltlichen Projektplanung zu beachten?
Die Ansprache einer heterogenen Zielgruppe im Hinblick auf unterschiedliche kulturelle Hintergründe ist, insbesondere bei Projekten mit einem neuartigeren Konzept, erfahrungsgemäß eine Herausforderung. Auch hier gilt deshalb zunächst: Nutzen Sie bestehende Netzwerke! Wen kennen Sie, der wen kennt…? Bitten Sie Ihre Mitglieder um Weiterleitung Ihres Teilnahmeaufrufs an potentielle Interessierte und sehen Sie nach verschiedenen Kulturvereinen in Ihrer Nähe um – vielleicht ergibt sich ja eine Kooperation? Mund-zu-Mund-Propaganda ist hier unbestritten die beste Werbung.
Es mag selbstverständlich klingen, wird in der Planung aber dennoch häufig vergessen: Was soll die Hauptsprache im Projekt sein? Sind Deutsch- oder Englischkenntnisse eine Voraussetzung für die Teilnahme, oder können für die Verständigung während der Durchführung ggf. andere Wege gefunden werden? Denken Sie an einen entsprechenden Hinweis, wenn Sie Werbemittel wie Flyer planen – und überlegen Sie ggf., ob sie diese auch in mehreren Sprachen herausgeben können.
Das Thema „verschiedene Sprachen“ ist natürlich auch für die Liederauswahl im Projekt relevant. Überlegen Sie sich ein Konzept, wie jeder Teilnehmende die Texte effektiv (aussprechen) lernen kann. Wichtig an dieser Stelle: Nicht jeder kann Noten lesen. Ist diese Fähigkeit wichtig für ein Projekt? Informieren Sie darüber am besten bereits bei der Teilnehmerwerbung.
Die musikalischen Leitenden des Projekts sollten sich außerdem auf die in den verschiedenen Ländern üblichen Gesangstechniken einstellen – man denke z. B. an die im Vergleich zu typischen „deutschen“ Gesangsstimmen an die eher „kehligen“ und deutlich lauteren Stimmen eines bulgarischen Chores.
Auch bei der Ablaufplanung des Projekts gibt es wichtige Punkte zu beachten. Sicher möchten Sie, dass aus Ihren internationalen Teilnehmenden eine „echte“ Gruppe wird, die sich auch als solche fühlt. Planen Sie deshalb unbedingt genug Zeit für ein ungezwungenes Kennenlernen (z.B. mit einfachen, musikalischen Spielen) ein. Auch Pausen sollten in Bezug auf ihre zwischenmenschliche Wirkung nicht unterschätzt werden. Gerade beim gemeinsamen Essen ergibt sich üblicherweise eine optimale Atmosphäre, um mehr über die anderen zu erfahren. Aus diesem Grund macht es Sinn, das Essen in das Projekt zu integrieren und dafür zu sorgen, dass es eine Verpflegung gibt, so dass keiner ausgeschlossen wird. Vielleicht finden Sie in Ihrem Verein sogar Freiwillige, die gerne kochen und ein kostenfreies Mittagessen bereitstellen können? Beachten Sie dabei verschiedene Essenskulturen (z. B. kein Schweinefleisch etc.) und bedenken Sie ggf. den Ramadan, religiöse Feste etc.
Interkulturelle Verständigung funktioniert nicht als Selbstzweck
Bei aller Konzentration auf die interkulturellen Aspekte des Projekts vergessen Sie nicht: Der Hauptzweck des Projekts ist es, gemeinsam
Musik zu machen. Inwiefern interkulturelle Verständigung stattfindet, können Sie nur bis zu einem gewissen Grad steuern – indem
Sie, wie oben beschrieben, einen geeigneten Rahmen schaffen, aber nicht zuletzt auch durch eine eigene offene, wertschätzende Haltung jedem einzelnen Teilnehmer gegenüber. Geben Sie von Anfang an jedem Mitwirkenden das Gefühl, gesehen und gehört zu werden und so sicherzustellen, dass sich jeder in der Gruppe willkommen fühlt. Sehen Sie die Teilnehmenden als die Menschen, die sie sind, egal, woher sie kommen und welches Bild Sie bislang von diesem Land oder dieser Kultur haben.
Ein hilfreicher Aspekt, um innerhalb der Teilnehmergruppe ein Verbundenheitsgefühl zu schaffen, ist das gemeinsame Hinarbeiten
auf ein gemeinsames Ziel. Sollte sich das Projekt eignen, um die Ergebnisse im Anschluss an Ihre Probenphase z.B. in einem Konzert zu präsentieren, machen Sie dies und vermitteln Sie der Gruppe von Anfang an das Gefühl, dass gemeinsam etwas Tolles auf die Beine gestellt werden soll – auch, wenn dieses Ziel bei einem gelungenen Projekt, bei dem eine Gruppe gemeinsam Spaß hat und dadurch zusammenwächst, nur das „Tüpfelchen auf dem i“ darstellen wird. Beachten Sie dabei zudem, dass ein Konzert zusätzliche Organisations- und Werbearbeit bedeutet, die rechtzeitig und parallel zur eigentlichen Projektarbeit angepackt werden muss.
Ein Appell zum Schluss: Vom Projekt zur Regelmäßigkeit
Sicher ist Ihnen bereits aufgefallen, dass nicht nur in diesem Artikel, sondern auch generell in Bezug auf interkulturelle Arbeit häufig von Projekten, das heißt von befristeten Aktionen mit einem konkreten Anfang und einem konkreten Ende die Rede ist. Leider ist es tatsächlich oft so, dass sich Versuche der Fortführung von Projekten – haben sie noch so gut funktioniert – schnell im Sand verlaufen. Finanzierung, Zeit, sinkende Motivation – die Gründe sind vielfältig und nachvollziehbar. Dennoch: Überlegen Sie sich von Anfang an eine Möglichkeit für eine regelmäßige Weiterführung Ihres Projekts und nutzen Sie Ihren und den während der Veranstaltung entstandenen Flow der Teilnehmer, um Ihre Idee weiterzuentwickeln, weitere Teilnehmende für künftige Aktionen zu finden und eine Regelmäßigkeit einzuführen, so dass die Verbundenheit, die sich bei gelungenen Projekten ergibt, weiter bestehen und sich vergrößern kann – und kommunizieren Sie unbedingt rechtzeitig, dass (und sobald möglich, auch wann und wie) es mit dem Projekt weitergehen soll! Vergessen Sie jedoch bitte auch bei dieser Planung nicht, worum es im Kern geht: darum, eine gemeinsame, schöne musikalische Zeit zu haben.
Interkulturelle Musikprojekte stellen sowohl für Sie, die Organisatoren, als auch für die Teilnehmer und nicht zuletzt für die Amateurmusiklandschaft eine große und vielseitige Bereicherung dar. Trotz aller „Beachten Sie“ und „Bedenken Sie“ in diesem Artikel hoffe ich deshalb sehr, Ihnen Lust darauf gemacht zu haben. Fangen Sie einfach an, freuen Sie sich auf viele neue Erfahrungen und haben Sie Spaß! Machen Sie sich bewusst, wie facettenreich allein schon ein einziges Land wie z. B. Deutschland mit all seinen unterschiedlichen regionalen Besonderheiten ist und wie unterschiedlich wiederum die Menschen innerhalb der einzelnen kleinen Regionen oder gar Orte sind. Vergessen Sie deshalb alles, was sie bisher von den Herkunfts- oder Hintergrundländern Ihrer Teilnehmer gehört haben und lassen Sie sich überraschen, wie viel Sie nicht nur über andere, sondern auch Ihre eigene Kultur lernen werden – „Normalität“ gibt es sowieso nicht.
Daniela Höfele