Seit Beginn der Corona-Beschränkungen erhielt ich eine sehr große Zahl an Anfragen im Rahmen der verbandlichen Erstberatung, wie denn zu verfahren sei, wenn eine Mitgliederversammlung erforderlich oder dringend gewünscht ist, die restriktiven Bestimmungen der Corona-Verordnungen eine solche jedoch nicht ermöglichen. Denn: In aller Regel konnten Mitgliederversammlungen auch unter Beachtung und Vorlage eines geeigneten Hygienekonzepts nicht durchgeführt werden; mehr noch: Gerade für die älteren Vereinsmitglieder stellte und stellt die Durchführung von Präsenzveranstaltungen eine latente Gesundheitsgefahr (aktiv wie passiv) dar, was dazu führt, dass viele ältere Vereinsmitglieder zu solchen Versammlungen nicht kamen bzw. kommen und die Vorstände schon deshalb von Mitgliederversammlungen während der Corona-bedingten Beschränkungen abgesehen haben.
Zeitpunkt der Mitgliederversammlung und Verschiebung
So entstand und entsteht eine enorme „Bugwelle“ an Mitgliederversammlungen, die im Jahr 2020 – und auch jedenfalls zu Beginn des Jahres 2021 – nicht durchgeführt werden konnten.
Erste Reaktion der Vereine war – und musste sein -, dass die Mitgliederversammlung verschoben wird. Die diesbezügliche Frage, ob dies zulässig sei, konnte in aller Regel bejahend beantwortet werden: Zwar sehen viele Satzungen ein „Zeitfenster“ für die Durchführung der jährlichen Mitgliederversammlung vor (etwa das erste Quartal eines Kalenderjahres), manche Satzungen legen sogar einen bestimmten Tag fest (Sonntag Cantate, 1. Mai etc.), andererseits konnte schon bisher eine Mitgliederversammlung aus unabweisbaren Gründen verschoben werden, zumal eine gesetzliche Sanktion nicht existiert.
Nun ist es grundsätzlich so, dass das Amt eines gewählten Vorstandsmitglieds mit der Mitgliederversammlung endet, bei der seine satzungsmäßige Wahlperiode beendet ist. Alternativ dazu kann ein gewähltes Vorstandsmitglied dann, wenn diese Mitgliederversammlung eben nicht stattfindet, von seinem Amt zurücktreten (durch Erklärung gegenüber dem Vorstand) mit der Folge, dass sein Amt und seine Vorstandsbestellung in diesem Moment endet. Das kann bei Vorstandsmitgliedern, die nach § 26 BGB den Verein nach außen vertreten, dazu führen, dass der Verein nicht mehr wirksam vertreten ist, wenn kein Vorstandsmitglied nach § 26 BGB im Amt ist. Dann kann der Verein keine Rechtsgeschäfte mehr tätigen, keine Förderanträge stellen und vieles andere mehr. In gravierenden Fällen wird das Amtsgericht – Registergericht – angerufen und bestellt einen Notvorstand nach § 29 BGB. Im Übrigen kann sich das zur Unzeit zurücktretenden und aus dem Amt scheidende Vorstandsmitglied unter Umständen schadenersatzpflichtig werden.
Deshalb wollen viele Vereine auch, um Wahlen durchführen zu können, in Pandemiezeiten ihre Mitgliederversammlung abhalten. Sie sehen sich daran jedoch aus den oben genannten Gründen gehindert.
Der Ort der Mitgliederversammlung
- 32 Abs. 1 BGB sieht vor, dass die Mitgliederversammlung an einen bestimmten Ort durchgeführt wird. Das Leitbild der Mitgliederversammlung nach dem BGB ist also das der Präsenzversammlung. Nur der, der an dieser Versammlung teilnimmt, ist auch berechtigt, an den Abstimmungen mitzuwirken. Nur ausnahmsweise und äußerst selten konnte eine Beschlussfassung nach dem vor den Corona-Einschränkungen geltendem Recht auf schriftlichem Wege durchgeführt werden, nämlich dann, wenn alle Mitglieder dem Beschluss schriftlich zustimmen, § 32 II BGB. Das kommt auch deshalb selten vor, weil solche Abstimmungen fast nie „funktionieren“, da ein einziges Mitglied, welches nicht abstimmt oder sich der Stimme enthält, die gesamte schriftliche Beschlussfassung zu Fall bringen kann.
- 32 BGB ist „nachgiebiges Recht“. Das heißt: Die Mitgliederversammlung kann eine abweichende Regelung treffen. Das geht allerdings nur, wenn eine solche abweichende Regelung ausdrücklich in der Satzung niedergelegt ist, § 40 BGB.
Schon seit 2011 gibt es deshalb die Möglichkeit der Online-Versammlung, wie das OLG Hamm in einer Beschlussentscheidung vom 27.09.2011 (27 W 106/11) festgestellt hat. Es hat also die Abkehr vom Leitbild der Präsenzveranstaltung gebilligt. Allerdings hat es wesentliche Forderungen formuliert:
Die Mitgliederversammlung kann als elektronische (virtuelle) Versammlung nur durchgeführt werden, wenn die Satzung dies ausdrücklich vorsieht. Des Weiteren muss bei der Durchführung dieser Versammlung sichergestellt sein, dass nur Vereinsmitglieder an dieser Mitgliederversammlung teilnehmen können (Nichtöffentlichkeit der Mitgliederversammlung!). Es müssen deshalb entsprechende Zugangsbeschränkungen (Passwörter, Chatroom etc.) vorgesehen werden, die auch sicherstellen, dass die Stimmrechte der teilnehmenden Mitglieder überprüft werden können. Die Satzung muss hierzu Vorgaben machen.
In der Regel wurde die entsprechende Satzungsregelung auch entsprechend für Vorstandssitzungen angewandt.
Bis auf Weiteres müssen die Vereine damit leben, dass nicht alle Vereinsmitglieder über die technischen Voraussetzungen verfügen, die für die Teilnahme an einer virtuellen Sitzung erforderlich sind. Das wird viele Vereine davon abhalten, im Hinblick auf vor allem ältere Mitglieder, virtuelle Mitgliederversammlungen durchzuführen. Allerdings war auch schon bisher zulässig, bei entsprechender Satzungsregelung eine Mitgliederversammlung in einer Kombination aus Präsenzversammlung und virtueller (Online-)Versammlung durchzuführen. Von dieser Möglichkeit wurde jedoch nur selten davon Gebrauch gemacht.
Veränderungen durch Corona-Regelungen
Wie gesehen, konnte man mit den Instrumenten zur Durchführung der Mitgliederversammlung, wie sie vor der Pandemie bestanden, in Zeiten der Corona-Beschränkungen im Grundsatz keine Mitgliederversammlungen mehr durchführen. Die dadurch für die Vereine entstehende Not sah auch der Gesetzgeber.
Der Bundesgesetzgeber hat im Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.03.2020 auch Regelungen für Vereine getroffen. Diesen ist in Art. 2 der § 5 (2) gewidmet.
Dessen Regelungen lassen sich in vier Punkte zusammenfassen:
- Verbleib der Vorstandsmitglieder im Amt bis zur Bestellung eines Nachfolgers
- Mitgliederversammlung am Versammlungsort ohne Anwesenheit der Vereinsmitglieder, die über elektronische Kommunikation an der Mitgliederversammlung mitwirken.
- Briefwahl der Mitglieder vor der Durchführung der elektronischen Mitgliederversammlung
- Beschlussfassung im Umlaufverfahren.
Anmerkung:
Nach den Empfehlungen des Deutschen Städtetages sprechen Gründe der Geheimhaltung dafür, Wahlen grundsätzlich nicht auf elektronischem Wege durchzuführen. Andererseits exentieren geheimhaltungssichere Tools für die Durchführung der Mitgliederversammlung und damit auch für Wahlen.
– Jeweils ohne entsprechende Satzungsregelung –
Die Gültigkeit des Gesetzes wurde einstweilen auf den 31. Dezember 2021 verlängert.
Neu:
Der Bundestag hat in seiner Sitzung am 17.12.2020 einige Klarstellungen des Gesetzes beschlossen:
Art. 11 Nr. 2 § 5 wird wie folgt ergänzt:
„Abweichend von § 32 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung Vereinsmitgliedern ermöglichen, an der Mitgliederversammlung ohne Abwesenheit am Versammlungsort teilzunehmen und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben zu können oder müssen.“
Das bedeutet, dass kein Mitglied unter der Gültigkeit dieser Regelung verlangen kann, dass ihm die Teilnahme am Versammlungsort, an dem der Vorstand die Mitgliederversammlung leitet, ermöglicht wird.
Mit dieser Regelung kann der Vorstand nun verbindlich und ohne Abbildung in der Satzung anordnen, dass die Mitglieder seines Vereins, die ihr Stimmrecht ausüben wollen, dies ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation oder im Wege der schriftlichen Stimmabgabe vor Durchführung der Mitgliederversammlung ausüben können oder müssen.
Weitere Neuerung:
Durch Einfügung in § 5 Abs. 2a Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie ist nun auch gesetzlich geregelt, dass ordentliche Mitgliederversammlungen aufgeschoben werden können, solange Präsenzveranstaltungen nicht möglich sind und eine virtuelle Mitgliederversammlung nicht mit zumutbarem Aufwand für den Verein und die Mitglieder durchgeführt werden kann. Ergänzend ist nunmehr durch § 5 Abs. (3a) Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie geregelt, dass diese Regelungen nicht nur für die Mitgliederversammlung, sondern auch für Vereins- und Stiftungsvorstände sowie andere Vereins- und Stiftungsorgane gelten.
Diese gesetzliche Ergänzungsregelung tritt gemäß Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes am 28. Februar 2021 in Kraft.
Einige praktische Hinweise:
Grundsätzlich gelten für die Einberufung und Durchführung der virtuellen Mitgliederversammlung die Bestimmungen in der Satzung (Versammlungsort, Einladungsfrist etc.). Da bei der virtuellen oder elektronischen Mitgliederversammlung nur der Versammlungsleiter vor Ort sein muss, kann dieser Ort als Versammlungsort bezeichnet werden. Mit der Einberufung müssen den Mitgliedern die Daten zur Einwahl in die virtuelle Mitgliederversammlung mitgeteilt und der Ablauf erläutert werden.
In der Mitgliederversammlung selbst gelten die Abstimmungsmodalitäten der Satzung, wobei Abstimmungen unter Verwendung hierfür auf dem Markt angebotener Abstimmungssoftware oder eines professionellen Moderators (oder beidem) vorgenommen werden können.
Vorstandssitzungen können unter entsprechender Anwendung dieser Bestimmungen durchgeführt werden. Einen Vorstandsbeschluss über die Art der Sitzungsdurchführung halte ich für zwingend.
Übernahme der Corona-bedingten Regelungen in die Satzung
Die hier beschriebenen, gesetzlichen Regelungen für die Durchführung von Mitgliederversammlungen in der Pandemie-Zeit gelten ausdrücklich ohne Regelung in der Satzung, jedenfalls für die Dauer der Gültigkeit des Gesetzes. Es hat sich aber gezeigt, dass in vielen Vereinen den neuen Formen der Durchführung einer Mitgliederversammlung auch positive Seiten abgewonnen werden können, die über die Corona-Zeit hinaus wirken. Es wird deshalb vielfach der Wunsch geäußert, diese Regelungen in die jeweilige Vereinssatzung oder Verbandssatzung zu überführen, da der Satzungsvorbehalt nach Auslaufen der Pandemie-bedingten gesetzlichen Regelungen wieder Gültigkeit haben wird. Auch die Erweiterung der Regelung zur Erfüllung des Schriftformerfordernisses (Textform, § 126b BGB, Stimmabgabe durch Email oder Telefax) soll, soweit nicht bereits, wie in vielen Vereinen, geschehen, in die Satzung aufgenommen werden. In dem unten mitgeteilten Vorschlag ist dies berücksichtigt.
Formulierungsvorschläge für die Aufnahme der alternativen Durchführungsformen für die Versammlung
Es folgen die Vorschläge für die Aufnahme der alternativen Durchführungsformen für die Mitgliederversammlung. Diese basieren auf den derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen in Art. 2 § 5 des oben zitierten Gesetzes über die Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie.
Hinweis: Wenn eine Satzung geändert wird, müssen ggf. ältere Satzungsformulierungen, die sich auf die Themen „Vereinszweck“, „Verwendung des Liquidationsvermögens“ etc. beziehen, an den aktuellen Satzungsstand angepasst werden. Vor allem in älteren Satzungen sind oft Formulierungen enthalten, die im Hinblick auf die Anforderungen des Bundesfinanzministeriums an die Gemeinnützigkeit nicht mehr dem aktuellen Stand entsprechen. Sie bleiben so lange unangetastet, wie die Satzung nicht geändert wird; ist dies aber der Fall, müssen auch diese, überholten Satzungsbestimmungen angepasst werden. Es empfiehlt sich deshalb, bei der Änderung der Satzung im Hinblick auf alternative Formen der Mitgliederversammlung auch eine Überprüfung dieser Vorschriften vorzunehmen oder sich entsprechend beraten zu lassen. Zu berücksichtigen und zu beachten ist, dass über in alternativer Form durchgeführte Mitgliederversammlungen ebenso Protokoll zu führen ist wie bei Präsenzversammlungen; das gilt auch für die Dokumentation zur Vorbereitung der Anmeldung zum Vereinsregister und Mitteilung an die Finanzverwaltung. Die an der Mitgliederversammlung teilnehmenden Vereinsmitglieder müssen in einer „Anwesenheits“-Liste erfasst werden, die zusammen mit der Anmeldung von Wahlergebnissen (Vorstandsmitglieder gem. § 26 BGB) und Satzungsänderungen dem Vereinsregister vorgelegt werden müssen.
Formulierungsvorschläge deshalb:
„1. Der Vorstand kann den Mitgliedern des Vereins ermöglichen,
a) an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilzunehmen und ihre Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation auszuüben. Hinsichtlich der Mehrheitsverhältnisse bei Abstimmungen und Wahlen gelten unverändert die Bestimmungen dieser Satzung.
b) Mitgliedern, die an der Mitgliederversammlung nicht teilnehmen, kann ermöglicht werden, ihre Stimme vor Durchführung der Mitgliederversammlung schriftlich abzugeben.
c) Abweichend von § 32 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) wird ein Beschluss ohne Versammlung der Mitglieder gültig, wenn alle Mitglieder beteiligt wurden, bis zu dem vom Vorstand gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Schrift- oder Textform abgegeben haben und der Beschluss mit der nach der Satzung erforderlichen Mehrheit gefasst wurde.
d) Die Mitglieder des Vorstandes bleiben bis zur Wahl eines Nachfolgers im Amt.
Näheres regelt die Geschäftsordnung.“
Unterstützung für Ihre Mitgliederversammlung:
Mit www.digitalwahl.org steht Vereinen und Verbänden ein kostenfreies Abstimmungs- und Wahltool zur Verfügung. Bei weiteren Fragen zu Organisation oder Unterstützung Versammlungen:
Rechtsanwalt Christian Heieck
Weiherstraße 6, 72213 Altensteig
Telefon: 07453 1677
Telefax: 07453 9554596
Email: kanzlei@rechtsanwalt-heieck.de
Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.