Ein Plädoyer für’s Selbermachen
Der Proberaum des a-cappella-Chors „Choriosity“ aus Ulm ist am Dienstagabend bis auf den letzten Platz gefüllt, sogar ein Livestream ist eingerichtet für alle, die nicht vor Ort dabei sein können und trotzdem bei der Probe dabei sein wollen. Die Atmosphäre ist herzlich, die Motivation ist groß und auf dem Probenplan steht ein ganz besonderes Arrangement, geschrieben von einem Sänger aus den eigenen Reihen: Matthias Kost, der sich während der Probe im Tenor versteckt, schreibt seit einigen Jahren Arrangements für seinen Chor. Gearbeitet wird in dieser Probe an Matthias‘ Arrangement von Metallicas „Nothing else matters“, und passend zum Titel singt der Chor, als wäre in diesem Moment wirklich nichts anderes wichtig als dieser Song.
„Das ist etwas, was aus der Familie kommt“
„Choriosity“ ist ein Chor, bei dem die Gemeinschaft im Vordergrund steht. Auch Matthias‘ erste Arrangements sind aus gemeinsamem Musizieren und Improvisieren entstanden: begeistert erzählt er von einer Probenfreizeit, bei der einige Sängerinnen und Sänger abends gemeinsam am Klavier saßen und miteinander gesungen haben. Diese Versionen hat Matthias dann als Startpunkt für das erste eigene Arrangement genommen und einen siebenstimmigen Satz geschrieben. Und es sollte nicht bei dem einen bleiben: Mittlerweile sind es zehn Arrangements von Matthias, die der Chor im festen Repertoire hat. Jedes besteht aus bis zu acht Stimmen, von denen jede mal im Vordergrund steht und herausgefordert wird – und genau das macht die Arrangements spannend für den Chor und interessant für das Publikum.
Dass Matthias für den eigenen Chor schreibt, stellte sich schnell als großer Vorteil heraus. Dadurch, dass er die Mitglieder im Chor gut kennt, kann er die Arrangements so schreiben, dass sie gut zum Chor passen. Durch die langjährige Erfahrung im Chor ist er, wie er selbst sagt, „näher dran an den Leuten“ und weiß, was die einzelnen Stimmen können, wie er sie herausfordern und am besten zur Geltung bringen kann. Er weiß, „dass sich der Sopran über bestimmte Dinge freut“, der Bass „an bestimmten Aufgaben wachsen kann“, die er ihnen im Arrangement stellt, und „dass der ganze Chor über eine Fußnote lacht, weil es ein Witz ist, der sich über ein Probenwochenende entwickelt hat“. Durch das Arrangement wird also ein ganz persönlicher Bezug zum Chor aufgebaut.
Die anspruchsvollen Arrangements, die Matthias schreibt, erfordern große Konzentration während der Proben, doch Matthias berichtet, dass die Motivation im Chor gleich viel höher war, weil das Arrangement
„aus der Familie kommt“. Die Sängerinnen und Sänger können sich damit deshalb „viel besser mit dem Song identifizieren“, und das wirkt sich natürlich auch auf die Arbeitsmoral des Chores aus. Besonders in den ersten Proben, in denen der Chor sich „so durchkämpft“, helfen sich die Chormitglieder gegenseitig, die Stimme zu lernen und gemeinsam ein Stück weiterzukommen. So wird das Arbeiten an jedem Arrangement zu einem Prozess mit „wirklich steiler Lernkurve“, die nicht zuletzt auch den Arrangeur glücklich macht. Der Chor hat diese Lernkurve als Startrampe genutzt und singt Matthias‘ Arrangements mittlerweile erfolgreich bei Chorfesten und Wettbewerben.
„Wir sind alle super stolz auf unseren Matze“
Das Schönste und gleichzeitig auch das Aufregendste am Arrangieren war für Matthias immer, das fertige Arrangement live zu hören und zu sehen, wie es vom Chor aufgenommen wird. Schnell wird klar: der gesamte Chor ist begeistert. Es war „Liebe auf den ersten Blick“, wie eine Sängerin aus dem Chor berichtet, und auch der Chorleiter Monty Winter verteilt großes Lob: „Ich habe es selten erlebt, dass jemand die Größe und die Dynamik eines Songs so nach vorne bringt“. Der Erfolg von Matthias‘ Arrangements hat schließlich auch andere Sängerinnen und Sänger im Chor dazu inspiriert, selbst aktiv zu werden und eigene Arrangements zu schreiben. Eine Sängerin beschreibt ihren ersten Wurf als „Einstiegsdroge“, die ihr Lust auf mehr gemacht hat. Auch ihre Arrangements sind im festen Repertoire des Chores. Die Sängerinnen und Sänger sind sich einig, dass sie die Arrangements aus den eigenen Reihen „immer mit voller Leidenschaft“ singen – der Aufwand hat sich also gelohnt.
„Arrangieren ist kein Hexenwerk“
Matthias‘ Geschichte zeigt vor allem, dass kein langjähriges Musikstudium und kein tiefgehendes Wissen über Musiktheorie nötig sind, um wunderschöne Chor-Arrangements zu schreiben. Es sind die Liebe zur Musik und die Freude am Probieren, die eine wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Arrangement sind. „Natürlich ist es von Vorteil, wenn man Noten lesen kann“, erklärt Matthias, aber ansonsten sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Für den Anfang reicht ein kostenloses Notationsprogramm, an dem man erste Versuche starten kann. Inspiration können zusätzlich auch die Arrangements geben, die man im Chor gerne singt. Bei diesen Stücken rät Matthias, „mit einem anderen Auge hinzuschauen und mit einem anderen Ohr hinzuhören“, um herauszufinden, „warum sich die eine oder andere Stelle so genial anhört“.
Arrangieren kann auch in einer kleinen Gruppe durchaus lohnenswert sein, rät Matthias Kost. Seine Geschichte ist ein Beispiel dafür, dass gemeinsames Ideensammeln und Musizieren oft die Startpunkte für einen natürlichen Prozess bilden, aus dem großartige Arrangements werden. Und nicht zuletzt kann auch die Chorleitung eine Unterstützung sein und auf Fragen antworten, die im Prozess entstehen und Feedback geben.
Allen, denen es jetzt in den Fingern juckt, selbst zu arrangieren, rät Matthias, ohne zu zögern: „Ausprobieren. Unbedingt ausprobieren!“