Neues zum Statusfeststellungsverfahren
Die Chorleitenden sind unverzichtbare Bestandteile jeder Chorarbeit. Das ist schon daran abzulesen, dass ein wesentlicher Anteil der staatlichen Chorförderung die Chorleiterpauschale ist, dass bei Auflösungsüberlegungen von Vereinen häufig der Wegfall des Chorleiters bzw. der Chorleiterin eine entscheidende Rolle spielt und – selbstverständlich -, dass die Qualität der Chorleitung für die Erfolge der Chorarbeit von entscheidender Bedeutung ist. Ebenso die Motivationswirkung, die vom Chorleiter/von der Chorleiterin ausgeht: Häufig steht – oder fällt – das Miteinander in Chor und Verein mit seinen/ihren Qualitäten.
Andererseits: Chorleitende kosten Geld. Das ist selbstverständlich. Viele leben von den Einkünften aus ihrer Tätigkeit. Der ehrenamtliche Chorleiter, im Hauptberuf Musiklehrer oder Kantor einer Kirchengemeinde, kommt nur noch selten vor und gehört eigentlich der Vergangenheit an. Viele Chorleiterinnen und Chorleiter üben ihren Beruf hauptberuflich aus, haben also mehrere Chorleitungsstellen inne. In der Regel kann ein Chorleiter/eine Chorleiterin von der Vergütung, die er/sie für eine Chorleitungsstelle erhält, nicht leben. Wenn die Tätigkeit nicht nebenberuflich neben einem Haupt-(Brot)Beruf ausgeübt wird, sind in der Regel zwei bis fünf Chorleitungsstellen und ihre Vergütung erforderlich, um eine Chorleiterfamilie ernähren zu können, wobei die Zahl der Doppelverdienerfamilien auch bei den Chorleitenden inzwischen zur Regel geworden ist.
Je nach Größe und finanzieller Ausstattung des Vereins, der die Chorleitung anstellt, ist dessen Vergütung wesentlicher Posten in der Bilanz eines jeden Chorvereins.
Da dieser darauf achten muss, dass die monatlichen Ausgaben des Vereins „nicht aus dem Ruder laufen“, ist es für ihn wichtig, dass zum Honorar nicht noch vom Verein zu bezahlende Steuern und Sozialabgaben kommen, die die Ausgaben für die Chorleitung im Schnitt zwischen 25 und 35 % gegenüber dem freiberuflichen Chorleiterhonorar verteuern.
Standard: Die Chorleitung als freie Mitarbeit
Seit jeher herrscht deshalb in der Chorleitervergütung der Vereine der freie Mitarbeitervertrag nach § 621 BGB vor. Das Chorleitervertragsmuster, welches den Vereinen auf der Homepage des Schwäbischen Chorverbandes zur Verfügung gestellt wird, ist als freier Mitarbeitervertrag aufgebaut und nicht als Angestelltenvertrag nach § 622 BGB.
Das hat verschiedene Gründe: Zum einen die Beschränkung der Chorleitervergütung auf das Honorar selbst, also ohne Steuern und Sozialabgaben; zum anderen ist aber auch das „Leitbild“ der Chorleitung in den Chören des Schwäbischen Chorverbandes das der freien Mitarbeitenden, die für die Abführung von Steuern und Sozialabgaben selbst zuständig sind.
Vorsicht vor Scheinselbstständigkeit
Vor allem eine Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg aus dem Jahr 2019 hat große Unruhe und engagierte politische Diskussionen ausgelöst: Das Landessozialgericht führte zum einen aus, dass es nicht nur auf den Inhalt des Chorleitervertrages, sondern vor allem auch darauf ankomme, wie dieser Vertrag „gelebt“ werde.
In den zurückliegenden Jahren lebten die Vereine – auch – der Chormusik im ruhigen Fahrwasser der Überzeugung, dass der Stellung der Chorleitung in freier Mitarbeit keine Gefahr drohe. Hier hat das Landessozialgericht mit seiner Ent-
scheidung die Chorlandschaft gehörig durcheinandergewirbelt. Zum einen mit der Feststellung, dass auch aus einer nach dem schriftlichen Vertrag zweifelsfrei selbstständigen Chorleitung durch eine abweichende Vertragshandhabung durchaus eine sogenannte Scheinselbstständigkeit werden könne. Dies nämlich dann, wenn:
- die Chorleitung weisungsabhängig und in den Betrieb des Vereins wie Arbeitnehmende eingegliedert sind, beispielsweise was die Auswahl der Chorliteratur angeht, Einzelheiten der Probenarbeit und anderes mehr
- wenn sie wie Arbeitnehmende bezahlt werden, insbesondere wenn Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubs- und Weihnachtsgeld bezahlt wird
- der/die Chorleitende kein eigenes Unternehmerrisiko trägt.
In meiner Beratungspraxis spielt dies oft eine nicht unerhebliche Rolle. Zum einen haben die Auseinandersetzungen zwishen Chor, Verein und Chorleitung in letzter Zeit nicht unerheblich zugenommen, zum anderen sind noch sehr viele Chorleiterverträge im Umlauf, die missverständliche oder auf der einen oder anderen Seite ungünstige Regelungen enthalten; häufig besteht gar kein schriftlicher Chorleitervertrag. Dann können nicht unerhebliche Probleme entstehen, beispielsweise Streit über die Höhe der vereinbarten Vergütung, die Kündigungsfrist (gesetzliche Kündigungsfrist nach § 621 BGB nur zwei Wochen zum Monatsende) und vieles andere mehr. Der Schwäbische Chorverband hat deswegen schon vor langem den Entwurf eines schriftlichen Chorleitervertrages auf der Homepage seinen Vereinen zur Verfügung gestellt und regelmäßig an die durch Gerichtsentscheidungen sich veränderte Rechtslage angepasst.
So auch 2019; im Anschluss an die Entscheidung des Landessozialgerichts, wurde auch vom Dachverband BMCO (Bundesmusikverband Chor und Orchester e. V., Trossingen) Verhandlungen mit der Deutschen Rentenversicherung Bund und anderen Verbänden geführt, um die Entscheidung des Landessozialgerichts für die Amateurchöre und Amateurorchester „handhabbar“ zu machen, was in der Zwischenzeit auch gelungen zu sein scheint und im jetzt aktuellen Mustervertragsentwurf auf der Homepage des Schwäbischen Chorverbandes Niederschlag findet.
Allerdings ist die Rechtsprechung nach wie vor im Fluss, und das bedeutet zweierlei: Zum einen sollte jeder Chor und Verein seine vertraglichen Regelungen mit dem Chorleiter/der Chorleiterin auf den Prüfstand stellen und sich erforderlichenfalls beraten lassen, zum anderen sollte strikt darauf geachtet werden, dass die von der Rechtsprechung gemachten Vorgaben eingehalten und im Vertragsalltag auch „gelebt“ werden.
Gerichtsentscheid 2023
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat am 20. März 2023 (L 4 BA 2739/20) entschieden, dass die Einordnung der Tätigkeit als selbstständig oder sozialversicherungspflichtig („Statusfeststellung“) immer wieder und nur im Einzelfall zugunsten des einen oder des anderen beantwortet werden kann.
Dabei stellt das Landessozialgericht auf die Abhängigkeit von Weisungen, die Eingliederung in den Betrieb des Vereins und das eigene Unternehmerrisiko des Beschäftigten ab. Dabei betrachtet es – wie gesagt – nicht nur die Regelungen im schriftlichen Vertrag, sondern auch deren praktische Handhabung.
Im hier entschiedenen Fall wurde einer in freier Mitarbeit tätigen Gesamtkoordinatorin eines Spielbetriebes eine abhängige Beschäftigung festgestellt, wobei neben den oben genannten Merkmalen einer abhängigen Tätigkeit auch die Vereinbarung von festen Tätigkeitszeiten und Erledigung von Bürodienstleistungen des Dienstherrn (Arbeitgebers) feststellte.
Die Bezeichnung der Tätigkeit als „freie Mitarbeit“ im Vertrag befand das Landessozialegericht für nicht maßgeblich, vielmehr das Gesamtbild der Tätigkeit, das nach der Auffassung des Gerichts eindeutig für eine abhängige Beschäftigung spreche.
Chorleiterverträge überprüfen lohnt sich
Es ist keinesfalls sicher, dass die Rechtsprechung zur Selbstständigkeit von Chorleitenden in Zukunft wieder „nachgeschärft“ wird. Deshalb die Empfehlung, die Chorleiterverträge grundsätzlich schriftlich abzufassen (Mustervertragsentwurf), zum anderen darauf zu achten, dass dem Chorleiter/der Chorleiterin tatsächlich nur ein Honorar bezahlt wird, ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubs- und Weihnachtsgeld; dass der Verein ihm/ihr keine Weisungen erteilt, vielmehr über Tätigkeiten, die auch vom Verein gewünscht werden, Vereinbarungen getroffen werden; dass dem Chorleiter/der Chorleiterin tatsächlich nur die Stunden bezahlt werden, die er/sie auch tatsächlich leistet, die er/sie im Krankheitsfall nachholen oder einem von ihm/ihr zu bezahlenden Vertreter übertragen muss, und dass zum Jahresende die tatsächlich geleisteten Chorleitertätigkeiten „spitz“ abgerechnet werden und er/sie im Verhältnis zu Abschlagszahlungen, die er/sie über das Jahr erhält, entweder eine Nachzahlung erhält oder zurückbezahlen muss. Wird dies so gehandhabt, kann von einem eigenen Unternehmerrisiko des Chorleiters/der Chorleiterin gesprochen werden.
Es lohnt sich im Ergebnis für die Vereine, ihren Chorleitervertrag kritisch zu prüfen und ggf. zu „entstauben“. Bei dieser Aufgabe scheint es sinnvoll, den Chorleiter/die Chorleiterin einzubeziehen.
Rechtsanwalt Christian Heieck
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Dieser Beitrag gibt die Auffassung, Kenntnisse und Erfahrungen des Autors aus vielen Jahren Vereinsrechtpraxis wieder. Wir bitten dennoch um Verständnis, wenn im Hinblick auf die Vielfalt der individuellen Fallgestaltungen, die im Vereinsrecht vorkommen, eine Haftung für die gegebenen Auskünfte im Hinblick auf konkrete Einzelfälle nicht übernommen werden kann.