Worauf es beim richtigen Equipment und dem Setting ankommt
„Es soll klingen wie immer, nur lauter!“ Ein nachvollziehbarer Wunsch, der im Soundcheck mikrofonierter Chorkonzerte häufig zu hören ist, aber gleichzeitig eines übersieht: Der Einsatz von Beschallungstechnik beeinflusst den Klang unausweichlich. Der folgende Artikel soll veranschaulichen, dass aus dem vermeintlichen Problem musikalische Chancen erwachsen können. Insbesondere Popchören erschließen sich neue klangästhetische Gestaltungsmöglichkeiten, die über eine reine Verstärkung des akustisch Dargebotenen hinausreichen können.
Klassische Chöre haben als Vorbild das akustische Ideal, das natürlich aus der historischen Aufführungspraxis herrührt. Popmusik ist parallel zur technischen Entwicklung entstanden und nutzt entsprechend die Technik als Stilmittel bzw. funktioniert in manchen Genres gar nicht ohne Technik. Weil klassische Konzerte vor allem im Profibereich im Wesentlichen nur „wenn es sein muss“ auf Verstärkung zurückgreifen (open air), ist das Beschallungsthema auch grundsätzlich eher in der Popmusik zu verorten und kommt in der klassischen Musik wenn, dann möglichst „unsichtbar“ zum Einsatz.
Jedes Glied einer Audiokette verändert den Klang. Mikrofone haben als Schallwandler einen erheblichen Einfluss auf den Sound. Neben dem grundsätzlichen Klang eines Mikrofons – dem Frequenzgang – ist die Richtcharakteristik eine wichtige Eigenschaft. Sie beschreibt die Empfindlichkeit des Mikrofons gegenüber Schalleinfall aus frontaler, seitlicher und rückwärtiger Richtung. Die häufig anzutreffende „Nierencharakteristik“ nimmt neben frontseitigem Schall auch Signale aus der 90°-Richtung noch abgeschwächt auf und ist gegenüber rückwärtigem Schall unempfindlich. Die Positionierung von Mikrofonen und die Aufstellung des Chores beeinflussen den finalen Klang ebenso wie das Mikrofon selbst.
Ohren der Technik
Wer sich schon einmal mit offenem Ohr vor einem Chor hin- und herbewegt hat, weiß, wie sehr sich der Klang in Abhängigkeit zur Position verändert. Nahe Stimmen erscheinen lauter, weiter entfernte treten in den Hintergrund. Mikrofone sind die „Ohren“ der Technik und entsprechend relevant ist die Planung der Choraufstellung und des Mikrofonsetups im Vorfeld eines verstärkten Auftritts.
Overhead-Mikrofonierung
Die gängigste Methode des Mikrofonaufbaus ist die Overhead-Mikrofonierung. Hierbei werden Mikrofone über den Köpfen des Chores positioniert. Das ermöglicht im theoretischen Idealfall die realistische Abbildung der akustischen Lautstärkeverhältnisse des Chores. Praktisch müssen einige Fallstricke beachtet werden, um im verstärkten Chorklang den akustischen Chor wiedererkennen zu können. Unbedingt berücksichtigt werden muss das Abstandsgesetz: Ein Chormitglied, das sich in halber Distanz zu einem Mikrofon befindet, trägt (frequenzabhängig) doppelt bis viermal so viel zum Mikrofonsignal bei, wie eine weiter entfernte Person. Die relativen Abstände einzelner Sänger:innen lassen sich durch die Ausrichtung des Mikrofons (Stich-wort Richtcharakteristik), Höhe und Entfernung zum Chor näherungsweise angleichen. Um ein möglichst homogenes Klangbild zu erzielen, sollten bei der Planung von Choraufstellung und Mikrofonpositionen auch die Körpergrößen und die individuellen Gesangslautstärken einzelner Sänger:innen bedacht werden. Overhead-Mikrofonierung findet sich gleichermaßen in klassischen wie populären Chören.
Einzelmikrofonierung
Eine völlig andere Herangehensweise bietet die Einzelmikrofonierung. Dabei steht jedem Chormitglied ein eigenes Mikrofon zur Verfügung. Im Mischpult können die Stimmen klanglich individuell bearbeitet und ins Verhältnis gebracht werden. Disbalancen innerhalb einer Stimmgruppe lassen sich ebenfalls ausgleichen. Die Möglichkeiten sind enorm und lassen Klangergebnisse zu, die an instrumentierte Popbands erinnern. Diese Art der Mikrofonierung kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn technische Klanggestaltung als integraler Bestandteil des Chor-sounds aufgefasst wird und neben dem reinen Ausbalancieren auch technische Effekte zum Erzielen eines stiltypischen Radiopopsounds gefragt sind. Einzelmikrofonierung findet durch den sehr direkten Sound nur in Pop- und Jazzchören statt.
Hybride Formen
Dazwischen finden sich immer wieder Mischformen. Eine im Popchorbereich häufig anzutreffende Variante ist die Kombination einzelmikrofonierter Bässe und eines Mikrofons pro zwei Oberstimmen. Basslinien sind im Popbereich häufig instrumentalartig arrangiert. Die Einzelmikrofonierung hilft hier dabei, auch die akustisch leisen perkussiven Gesangsanteile hörbar zu machen. Jedes Oberstimmenmikrofon kann im Gegensatz zur Overheadmethode auch bei Einhaltung des Abstandsgesetzes sehr nah zwischen den beiden Sänger:innen positioniert werden. Diese Methode senkt Aufwand und Anschaffungs- bzw. Mietkosten im Vergleich zur reinen Einzelmikrofonierung und bietet Beschaller:innen gleichzeitig größere klangliche Gestaltungsmöglichkeiten als die Overheadvariante.
Ungewohnte Hörsituation
Egal welche Mikrofonierung zum Einsatz kommt: Das Hörgefühl auf der Bühne unterscheidet sich fundamental zur gewohnten Proberaumsituation. Durch die Physik frequenzabhängiger Schallausbreitung gelangen eher tieffrequente und mulmige Teile des verstärkten Klangs zurück auf die Bühne und führen zu einer ungewohnten Hörsituation, die gerade bei unerfahrenen Chören durchaus auch Einfluss auf die Gesangsqualität haben wird. Je lauter die Verstärkung, desto mehr überlagern diese Rückwürfe die Wahrnehmung des akustischen Chorsounds. Monitorboxen auf der Bühne können durch individuelle Mischungen der Mikrofonsignale das gesamte Klangspektrum wieder hörbar machen und als Orientierungshilfe dienen. Werden die Monitore nur so laut eingestellt wie für ein sicheres Singen nötig, dann bleibt mehr Spielraum für die Gestaltung des Sounds vor der Bühne.
Rückkopplungen verhindern
Da jedes eingesetzte Mikrofon nicht nur den Chor, sondern auch die Rückwürfe des Beschallungssystems und Monitorings selbst „hört“ und entsprechend verstärkt, wird es insbesondere bei größeren Beschallungs- und Monitorlautstärken zu einem verwaschenen Klang oder auch zu Rückkopplungen und den bekannten Pfeiftönen (engl. Feedback) kommen. Ein geringerer Abstand zum Mikrofon führt zu einem besseren Verhältnis von Nutz- und Störsignal, gleichzeitig allerdings auch zu einem punktuelleren Abdeckungsbereich (Stichwort Abstandsgesetz). Es werden dann entsprechend zusätzliche Mikrofone benötigt, um die Abnahme des gesamten Chores sicherstellen zu können. Die Anzahl der Mikrofone richtet sich also sowohl nach der Chorgröße als auch nach der geplanten Beschallungslautstärke. Jedes einzelne Mikrofon wird im Mischpult in Klang, Monitorlautstärke und Feedbackprävention idealerweise individuell austariert. Chöre sollten sich deshalb darüber im Klaren sein, dass Aufstellungswechsel zwischen den Stücken den Gestaltungsspielraum am Mischpult (außer bei der Einzelmikrofonierung, denn hier wandert das Mikrofon ja mit) mitunter deutlich einschränken und einem idealen klanglichen Ergebnis entgegenstehen.
Klangästhetische Möglichkeiten
Bei allen technischen Möglichkeiten geht es am Ende immer um die Musik. Der Einsatz technischer Mittel sollte entsprechend musikdienlich geplant werden. Ist die Voraussetzung einer gelungenen Mikrofonierung erfüllt, kann die musikalische Dramaturgie beispielsweise durch die technische Unterstützung von Crescendi oder Diminuendi erweitert werden, ohne dabei Disbalancen zu verstärken. Auch physikalisch-technische Eigenarten finden ihren Einsatz in der Klanggestaltung. Der sogenannte Nahbesprechungseffekt, der allen Mikrofonen mit Richtwirkung gemein ist, verstärkt bei zunehmender Nähe zum Mikrofon tiefe Frequenzen überproportional. Ein Verhalten, das sich einzelmikrofonierte Basssänger zunutze machen können.
Der gezielte Einsatz von Hall kann Werk und Chor in eine angemessene Räumlichkeit versetzen oder auch einhüllende Klangwelten schaffen. Durch den Einsatz verstärkter Beatbox und Effekten wie Octavern (hier wird eine Oktave unterhalb des gesungenen Tons erzeugt) rückt die Popchormusik schließlich stilistisch näher an den von Drums und Bass dominierten Radiopop und schließt an aktuelle Hörgewohnheiten an. Zweifelsfrei übertragen Chor und Chorleiter:innen bei zunehmender Nutzung von Technik auch einen Teil der musikalischen Gestaltung und Verantwortung an Beschaller:innen, deren feinfühliges Agieren Bedingung für das Gelingen verstärkten Chorgesangs ist. Trifft diese Voraussetzung auf gegenseitiges Vertrauen, kann Beschallung mehr werden als nur Verstärkung. Dann bietet sich die Chance, Chormusik um eine Dimension zu erweitern.
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