Dirigent und Arrangeur Howard Arman über Weihnachtslieder, ihre Tradition und das „Rezept“ für gute Arrangements
Howard Arman hat sich als Chefdirigent des Chores des Bayerischen Rundfunks in den vergangenen Jahren im Zuge weihnachtlicher CD-Veröffentlichungen ausführlich mit internationalen Weihnachtsliedern beschäftigt und selbst eine Vielzahl von Arrangements für vier- bis achtstimmigen gemischten Chor a cappella erstellt. Die SINGEN traf den 70-Jährigen im Rahmen der chor.com-Messe in Hannover.
Herr Arman, was verbinden Sie persönlich mit Weihnachten?
Musikalisch gesehen ist es das Fest meiner Kindheit. Es war immer das Fest, bei dem das Volkstümliche besonders hervortrat und ich fand es sehr rührend, dass es eigentlich, jenseits von Religiosität, eine Geschichte von Zugehörigkeit, Rache und Geheimnissen erzählt. Was mich immer fasziniert hat, ist, wie dieses Fest in der volkstümlichen Musik bunte und lebendige Musik hervorgerufen hat. Es gibt volkstümliche Lieder ohne Ende in der Geschichte, die das belegen. Ich fand auch die Verbindung mit dieser Tradition, die sich immer erneuert, sehr schön. Als Chorknabe habe ich Arrangements gesungen, die jedes Jahr immer wieder neu erschienen sind. Diese bunte musikalische Umgebung fand ich immer sehr schön. Man hat damit auch zuhause mehr gesungen, das ist eine lebendige Tradition. Diese Idee, jedes Jahr Arrangements neu zu machen, ist sehr eng damit verbunden.
Haben Sie ein Lieblings-Weihnachtslied?
Nein, ich habe einen großen Respekt vor dem ganzen Repertoire. Es gibt immer wieder Juwelen, die man entdeckt. Ich hoffe, dass das Repertoire nicht schrumpft, wenn alle die gleichen fünf Stücke auf die Frage nach dem Lieblingslied nennen. Man darf nicht vergessen: Der Anteil des Textes ist hoch, teilweise noch höher als die Musik selbst. So wie in Spirituals – die textliche Wirkung ist enorm.
Hat der Text für Sie eine größere Bedeutung als die Melodie?
Allgemein gesagt nicht. Es gibt Lieder, bei denen der Text sehr viel von deinen Emotionen einnimmt und die Melodie ist ein Träger davon, aber was oft vergessen wird, ist der Text. Die Texte sind teilweise so groß und so stark.
Diese Lieder sind ein Geschenk für den Arrangeur, denn jeder kennt das Original. Das ist entfernt mit der Kunst der Variation verwandt. Man hat das Original im Ohr und erkennt, was der Arrangeur daraus machen wollte. Man erkennt die Abweichung. Aber ich vergesse nie bei den Arrangements, dass Weihnachten ein Fest der Fröhlichkeit ist. Heute ist das etwas anderes dank der großen Weihnachtsmärkte. Es ist viel los und nach Weihnachten will man seine Ruhe und ist froh, wenn alles vorbei ist. Advent ist eine Bußzeit, danach kommt das Fest, es ist ‚Partytime‘. Die Lieder, die sich mit der Geburt Jesu beschäftigen, sind ausgelassene, energische, fröhliche Lieder, die wir aus der Vergangenheit übernehmen, denn sie erzählen das fröhlichste Fest des Jahres. Bei meinen Arrangements für Weihnachten ist immer Partytime angesagt und ich nehme es oft als Gelegenheit, liebevolle Karikaturen einzuspielen.
Wenn wir uns einmal Ihrem Stil widmen…
Es gibt keinen! Ich bin eine musikalische Elster, wenn irgendwo etwas glitzert, nehme ich das. Aber ich habe auch eine große handwerkliche Freude, in den Stil eines anderen hineinzuschlüpfen und neu zu kreieren. Auch das ist nicht weit von der Idee von Weihnachten als internationales, zeitübergreifendes Fest entfernt. Darauf aufbauend schreibe ich Stücke im Stil des 17. und 20. Jahrhunderts, aber auch im Hollywood-Stil oder große chorsymphonische Stücke, bei denen man aus dem Vollen schöpfen kann.
Heißt, Sie machen das Arrangement abhängig von der Besetzung?
Auch. Oder umgekehrt. Ich hatte das Glück, für verschiedene Rundfunkchöre zu schreiben. Wenn ich gesagt habe, fünf Schlagzeuger sind notwendig, war das kein Problem. Ich bin sehr froh, dass wir diese Lieder auf CD eingespielt haben, denn ich frage mich sehr oft, ob diese überhaupt spielbar sind. Gleiches gilt für den Schwierigkeitsgrad des Chores, da ist bei meinen etwa 200 Arrangements wirklich alles dabei, von a cappella bis hin zum chorsymphonischen Werk. Daher ist es schwierig für mich zu sagen: ‚Das ist meine Herangehensweise.‘ Wenn ich für mich schreibe, ist es etwas anderes, aber das ist nicht in den offiziellen Arrangements enthalten.
Gibt es ein von Ihnen arrangiertes Stück, auf das Sie besonders stolz sind?
Es gibt einige, die sehr wirkungsvoll sind. Eines heißt ‚Happy Lisztmas‘, für Klavier – sehr schwer zu spielen. Für Chor mag ich sehr ‚Santa Claus is coming to town‘, weil es so eine Swing-Stimmung hat. Es ist für Chor sehr einfach, aber auch sehr wirkungsvoll. Mein Vater war Jazzer, daher ist die Jazz-Sprache die Sprache meiner Jugend.
Das prägt Sie sicher auch sehr…
Auf jeden Fall. Mein Sohn ist auch Jazzer und Jazz ist etwas, wobei ich mich traue, Dinge zu schreiben, aber ich würde mich nicht trauen, sie zu spielen [lacht]. Generell die Swing-Nummern sind sehr wirkungsvoll und ich habe eine geheime private Freude daran, weil ich weiß, woher ich das Vokabular habe. Aber auch die schlichten Arrangements mag ich sehr gerne. Ich möchte, dass die Menschen Freude haben, die Stücke zu singen, und ich finde, es gibt eine Notwendigkeit, Sätze zu schreiben, die Freude verbreiten, aber von einem gewissen musikalischen Niveau sind.
Heißt das, Ihnen ist ein gewöhnlicher SATB-Satz zu einfach?
Nein, das ist das Herzblut eines jeden Laienchores. Ich bin selbst Sänger gewesen und es soll alles machbar sein, keine ‚Challenge‘! Ich möchte nicht schreiben, was unmöglich ist, aber es gibt natürlich verschiedene Stufen. Nehmen Sie ‚Lasst uns froh und munter sein‘, ein einfaches Kinderlied: Wenn man versucht, diese Stimmung zu behalten und mit der Sprache zu verbinden, die ich kenne, habe ich persönlich eine große Freude daran. Ein anderes Beispiel ist ‚Stille Nacht‘, jedes fremde Element würde das Lied kaputt machen und ich versuche es so stilecht zu machen, wie es nur geht. Ich versuche immer, die Stimmung, die ein Lied im Ursprung hat, zu behalten und wiederzugeben.
Gibt es ein ‚Rezept‘ für ein gutes Arrangement?
Was mich am meisten stört, sind Arrangements, die keinen eigenen Charakter haben. Jeder von uns kann Akkorde schreiben und Melodien harmonisieren, aber zumindest für die schönen und traditionsreichen Lieder braucht es gutes Handwerk: gute Stimmführung, eine gute Balance zwischen den Stimmen, ein guter Umgang mit der Stimme als Instrument und ein textorientierter Umgang. Das sind Dinge, die man verlangen kann, denn wir verlangen sie bei jeder anderen Art von Musik.
Gutes gelerntes Handwerk also?
Ich meine das nicht im trockenen Sinne, sondern dass es wirklich klingt, was man schreibt und dass man am Ende noch eine Liebe zum Lied hat – auch wenn ich bei manchen Stücken noch so witzig bin. Wenn ich Spirituals habe, ist das ähnlich wie bei ‚Stille Nacht‘, da würde ich nie etwas ändern, denn diese Liedform des Spirituals ist sehr groß und damit zu spielen fände ich fehl am Platz.
Sind moderne, abstrakte Arrangements von Liedern wie ‚Stille Nacht‘ in der heutigen, kirchenentfremdenden Gesellschaft vielleicht sogar notwendig, um auf dieses Thema der heiligen Nacht aufmerksam zu machen?
Wir sind keine Prediger, wir sind Musiker. Wie diese Musik angenommen wird, ist Sache des persönlichen Glaubens des Zuhörers. Mit ‚Stille Nacht‘ oder Spirituals haben wir Lieder, die im Singen entstanden sind. Das zu zerstören, so erscheint es mir, führt zu einer Verringerung des Liedes. Andere Lieder, auch wenn sie im Singen entstanden sind, wie die uralten Weihnachtslieder, sind energische Lieder. Davor braucht es viel Respekt. Wir sind in diesen Momenten Sänger. Nicht Publikum. Wenn wir Arrangements von diesen großen Liedern machen, muss es uns ein Modell sein. Ich habe versucht, diese Gedanken im Kopf zu halten, während ich die Stücke arrangiert habe und etwas im Ruf-Antwort-System zu schreiben. Ich habe auch teilweise harmonische Widersprüche eingebaut.
Wie sieht das bei den „cOHRwürmer“-Konzerten aus?
Da machen wir keine Spirituals. Dieses Jahr findet es im November statt, heißt, wir sind noch etwas raus aus dem Advent, haben aber – Achtung, jetzt kommt ein Widerspruch! – trotzdem viele Adventsstücke dabei [lacht]. Besungen werden die Vorbereitung auf die Weihnachtszeit mit Schnee und dem Winter, aber auch ein paar populäre Stücke, zum Beispiel aus dem ‚Messias‘, sind dabei.
Sie sagten im BR-Klassik-Interview einmal ‚Wenn ich ein Programm zusammenstelle, in dem die Epoche, in der die Musik komponiert wurde, überhaupt keine Rolle spielt […] (hier Thema Krieg und Frieden), bin ich schon ein Stück befreiter. Ich wage mich auf Neuland vor. Da kann ich die Horizonte öffnen.‘ Geht es Ihnen so auch mit Weihnachtsliedern?
Wir haben bei Weihnachtsliedern schon diese thematische Klammer, aber sie sind jedes Jahr trotzdem neu. Wo sonst im ganzen Jahr stellt man sich zusammen und singt einfach? Außerhalb der Kirche. In England machen wir das viel, wir gehen von Haus zu Haus. Das Weihnachtslied ist so aktuell und hat trotzdem diesen riesigen Bogen zurück. Ich bediene mich vor allem deswegen der Stile, um dieser langen Geschichte Rechnung zu tragen.
Bei aller Komplexität, die manchmal bei mir vorkommt, liegt es doch, finde ich, in der Natur des volkstümlichen Weihnachtsliedes, dass es sofort genießbar ist, zum Hören wie zum Singen. In dem Fall würde man eine Barriere aufstellen, indem man sich entfernt von der Materie. Es muss allgemein genießbar sein, nicht nur einem Prozent der Menschheit zugänglich – das kann man anderswo machen. Man dürfte es im Wirtshaus haben, nicht nur bei den Sternsingern usw. Mit dem Verfall des häuslichen Singens kommt auch der Verfall des weihnachtlichen Singens. Ich finde, das muss kein religiöser Akt sein. Ein Fest der Erneuerung und des Zusammenseins. Die Geschichte ist übergreifend für alle, sie ist allgemein verständlich, man muss nicht gläubig sein, um die Kraft dieser Geschichte zu verstehen. Wir wissen alle, wie alt dieses Fest ist.
Die kirchliche Bedeutung hängt für mich zusammen mit dem, was man über Jahre zuhause gemacht hat, und wenn man es wegnehmen würde, würde etwas fehlen. Dieser kirchliche Aspekt ist in vielen Menschen drin und wir rufen es gerne Jahr für Jahr ab. Die Geschichte selbst ist universell und deshalb sind die Lieder auch geblieben.
Ich habe auch meine eigene Weihnachtsgeschichte nach Jakobus komponiert. Sie ist voller menschlicher, nahbarer Dinge, z.B. ist Josef eifersüchtig auf Maria. Das macht es für alle so authentisch und verständlich. Wir spielen es demnächst auf Wunsch des MDR. Insofern bin ich dieses Jahr genauso beschäftigt mit Arrangieren wie Komponieren. Bamberg und die „cOHRwürmer“ werden die Einstimmung dafür. Da freue ich mich sehr drauf.
Herr Arman, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Felix Eickelmann.