Warum ein reiner Frauenchor für manche Sängerin genau das Richtige sein kann
Männermangel ist leider Alltag in vielen gemischten Chören. Eine zielführende Probenarbeit, die allen Beteiligten Spaß macht, ist unter solchen Umständen kaum möglich — von einem ausbalancierten Chorklang ganz zu schweigen. Aber wer hat gesagt, dass man für Bass- und Tenorstimme zwingend Männer braucht?
Bei den „A-Cappella Ladies“ aus Kornwestheim wird alles zwischen dem großen a und dem zweigestrichenen h ausschließlich von Frauen gesungen. Obwohl die „A-Cappella Ladies“, wie der Name schon sagt, ein reiner Frauenchor sind, gibt es hier „Tenors“, „Baritones“ und „Basses“. Natürlich unterscheiden sich die Arrangements für Frauen-Barbershop-Chöre von denen für Männerchöre. Aber die Stimmbezeichnungen Tenor, Baritone und Bass können im Barbershop-Gesang grundsätzlich genauso Männer wie auch Frauen meinen.
Ein neues Konzept: Frauen als Basis für vollendeten Chorklang
Als die „A-Cappella Ladies“ im März 2007 gegründet wurden,
stand es überhaupt nicht zur Debatte, einen gemischten Chor zu gründen. Die Stilrichtung Barbershop stand fest und damit war ein gemischter Chor von Vornherein ausgeschlossen. Zu der Zeit sah die Tradition des Barbershop einfach keine gemischten Ensembles vor. Es gab entweder reine Männerensembles oder (ab den 1950er-Jahren auch) reine Frauenensembles. Da die Gründerin und erste Chorleiterin der „A-Cappella Ladies“, Britta von Fuchs-Nordhoff, bereits einen Männerchor hatte, war es gar keine Frage, dass nun ein reiner Frauenchor gegründet wurde. Schon, wenn frau am Mittwochabend den Probenraum der „A-Cappella Ladies“ betritt, wird klar, dass es sich hier nur um einen Frauenchor handeln kann. Angeregt wird sich erst einmal ausgiebig über die vergangene Woche ausgetauscht, Tipps fürs Kinder- oder Enkelkinder-Bespaßen verhandelt oder noch schnell die Änderungen aus der letzten Probe besprochen. Zugegeben, Letzteres ist eher selten der Fall, aber frau hat sich auf jeden Fall immer etwas zu erzählen, bevor es mit dem Einsingen losgehen kann.
Zwar ist das alte Geschlechter-Klischee, dass Frauen so viel gesprächiger seien als Männer, empirisch nicht haltbar. Meine persönliche Erfahrung mit sowohl gemischten Chören als auch reinen Männerchören spricht da allerdings eine andere Sprache. Aber hier geht es ja nicht ums Sprechen, sondern ums Singen! Wie ist das so mit einem Frauenchor? Ein Frauenchor ist etwas ganz Besonderes — nicht nur für die Sängerinnen, sondern auch für mich als Chorleiterin und bestimmt auch für unser Publikum. Der vierstimmige Klang von reinen Frauenstimmen ist einfach etwas Einmaliges. Die Stimmen scheinen sich auf eine ganz besondere Art und Weise miteinander zu vermischen, die man in gemischten (Amateur-)Chören so nicht hören kann. 30 Frauenstimmen passen klanglich einfach wahnsinnig gut zusammen!
Dieses Zusammenpassen spiegelt sich nicht zuletzt auch bei der Interpretation der Stücke wider. Frauen haben in unserer Gesellschaft häufig ähnliche Erfahrungen gemacht, betrachten das große Thema „Liebe“ vielleicht teilweise aus einer ähnlichen Perspektive und teilen oft ähnliche Hoffnungen, Wünsche und Träume. Wenn die „A-Cappella Ladies“ ein neues Stück erarbeiten, steht der Austausch über die Interpretation, die Geschichte und die Emotionen, die die Musik ausdrücken will, meist an erster Stelle. Noch bevor frau sich an den ersten Tönen versucht, werden die Gefühlswelten des Liedtextes in aller Tiefe ergründet, die unterschiedlichen Sichtweisen diskutiert und schlussendlich wird sich (meistens) auf eine Interpretation geeinigt. Das alles mag für den einen oder die andere vielleicht überflüssig klingen. Man könnte sich ja auch gleich höchst effizient ans Töne- und Rhythmen-Lernen machen. Die berührten Gesichter unseres Publikums zeigen jedoch jedes Mal aufs Neue, dass es diese Arbeit wert ist.
Auch die Chorgemeinschaft und Proben-Atmosphäre sind bei einem Frauenchor einfach anders als bei anderen Chören.
Gemeinschaft und Klangvielfalt: Der besondere Zauber eines reinen Frauenchors
Erst neulich wurde auf unserem Chorwochenende neben intensiven Proben auch ausführlich über die Chorgemeinschaft und die weitere Entwicklung des Chores und des Vereins gesprochen. Dabei ging es eigentlich gar nicht explizit darum, dass die „A-Cappella Ladies“ ein reiner Frauenchor sind. Dennoch gab es mehrere Stimmen, die auf die Frage, was sie zum Chorsingen motiviere, besonders die Wohlfühl-Atmosphäre in den gemeinsamen Proben und das Gefühl von geballter Frauenpower hervorgehoben haben.
„Bereits in der ersten Probe wurde ich sehr herzlich empfangen und ich hatte ‚subito‘ 20 gute neue Freundinnen. Das klappt natürlich auch in einem gemischten Chor, aber für mich hatte die Gemeinschaft von einem reinen Frauenchor schon was Besonderes gebracht, das ich sehr schätze! Klar gibt es Momente, die mich zum Schmunzeln bringen, mit ‚OK, diese Diskussion hätte ich in einem gemischten Chor nicht führen müssen‘, aber diese nehme ich sehr gerne in Kauf – das Gefühl auf der Bühne, mit so viel Frauenpower um mich rum, gibt’s sonst nirgendwo!“ (Eeva, Baritone)
Mehr als nur Musik: Die transformative Kraft eines Frauenchores
Durch diese Frauengemeinschaft verschwinden außerdem viele Hemmungen und Berührungsängste, die sich sonst in vielen gemischten Chören beobachten lassen, etwa wenn es um Partnerübungen beim Warm-up geht, die gegenseitiges Anfassen beinhalten. Im geschützten Raum der „A-Cappella Ladies“ kann sich bei solchen Übungen jede Frau voll und ganz fallen lassen und sich wirklich auf das eigentlich angedachte Nachspüren fokussieren, statt sich Gedanken zu machen, ob ihr die eine oder andere Berührung vielleicht unangenehm ist. Aber auch, wenn es darum geht, „peinliche“ Bewegungen auszuprobieren — ob als Warm-up oder im Rahmen der Choreografie — scheinen Frauen meiner Erfahrung nach viel weniger Probleme mit Körperlichkeit zu haben als Männer. Besonders im Barbershop nimmt die Performance schließlich eine zentrale Rolle ein. Da sind solche Hemmungen nicht besonders förderlich.
Nicht zuletzt kann ein reiner Frauenchor vor allem auch Frauen mit einer sehr tiefen Stimme entgegenkommen, die sich in gemischten Chören im Alt einfach nicht richtig aufgehoben fühlen.
„Lange habe ich nach einem Chor gesucht, bei dem ich mit meiner tiefen Wohlfühllage nicht zu den Männern gesteckt werde und fand ihn im vierstimmigen Frauen-Barbershop-Chor. Wir singen a cappella, dennoch ist die tiefe Frauenstimme, ‚Bass‘ genannt, nicht auf Rhythmus vorgeben festgelegt, sondern hat in vielen Liedern auch Melodieanteile. Das Publikum ist immer ganz begeistert, wenn es unseren vollen, warmen Klang hört und ich auch.“ (Silke, Bass)
In einem Frauenchor können Frauen wie Silke das volle Potenzial ihrer dunklen und sonoren Stimme viel besser ausschöpfen, was außerdem eine ganz eigene und wunderschöne Klangfarbe in den Chorklang einbringt.
Ein Frauenchor ist also ganz entschieden so viel mehr als nur die rationale Reaktion auf den allgegenwärtigen Männermangel in der schwäbischen Chorlandschaft und definitiv einen Konzertbesuch wert!