Der Stuttgarter Liederkranz 1824 e.V. wird 200 Jahre alt
Der Verein, der seit seiner Gründung einer der größten und erfolgreichsten Chöre des Landes ist, nahm in der süddeutschen Laienchorbewegung immer eine führende Rolle ein. So gab er 1827 den Anstoß zur Durchführung jährlicher Liederfeste, war 1849 maßgeblich an der Gründung des Schwäbischen und 1862 an der Gründung des Deutschen Sängerbundes (heutigen Chorverbandes) beteiligt. Zu seinen Mitgliedern zählten bedeutende Persönlichkeiten aus Kultur, Musik und Politik, darunter Dr. Otto Elben (1823-1899), der Mitinitiator des Schwäbischen Sängerbundes. Bei der Gründungsveranstaltung des Vereins in Stuttgart stand u.a. der Eidgenosse Hans Georg Nägeli (1773-1836) Pate. Der „Sängervater“ aus der Schweiz bereiste damals gerade Württemberg, wo er seine „Vorlesungen“ zur Musik zu hielt und für die Sache des Gemeinschaftsgesangs warb. Er selbst hatte 1805 in Zürich die erste „Singgesellschaft“ gegründet, ein gemischter Chor, der bald um einen reinen Männerchor und einen „Töchterchor“ ergänzt wurde. Nägelis philanthropischer Standpunkt war: „Jede und jeder soll unabhängig von Stand, Geschlecht und Religionszugehörigkeit Zugang zum Singen und zur musikalischen Bildung bekommen.“
Frauenstimmen statt Kastraten
Die Idee, Frauen in ihrem Liederkranz mitwirken zu lassen, haben die Stuttgarter aber nicht nur Nägeli zu verdanken, sondern auch der eigenen Vorgeschichte und dem Anspruch, künftig größere Werke der Tonkunst mit gemischten Stimmen (und Orchester) aufführen zu können. Wie der Chronist Gerhard Jäger 1999 im Jubiläums-Festbuch festhielt: Unter den 80 „Gesellschaftern“, die den Liederkranz ins Leben riefen, waren 26 Personen, die bereits Erfahrung mit Chormusik hatten. Sie gehörten der sogenannten „Sonntags-Abend-Gesellschaft“ an, einem örtlichen Vorläufer des Liederkranzes. Diese Gesellschaft ging zurück auf eine gesellige, Kunst und Spiel pflegende Runde, darunter auch ehemalige „Carlsschüler“.
An dieser Stelle sind zwei Namen zu nennen: Friedrich Schiller (1759-1805) und der mit ihm eng befreundete Musiker Johann Rudolf Zumsteeg (1760-1802). Zumsteeg begann seine Laufbahn an der „Hohen Carlsschule“, wo er seit 1776 durch selbst komponierte Singspiele mit Chören aufgefallen war. In seinen Stücken traten neben „Carlsschülern“ auch die Musik-Elevinnen der herzoglichen „Ecole des demoiselles“ auf (Leiterin dieses frühen Stuttgarter Frauenchors war Julie Schubart (1767-1801), die Tochter des Dichters und Komponisten Christian Friedrich Daniel Schubart). In Zumsteegs Singspielen hörte man also nun statt der für Frauenrollen üblichen Knaben- und Kastratenstimmen jetzt Sängerinnen im Chor, begleitet von Orchestermusik.
Nächste Zumsteeg-Generation: Emilie und Gustav
Nach Johann Rudolfs frühem Tod 1802 traten ein paar Jahre später zwei seiner Kinder in die musikalischen Fußstapfen des Vaters: Tochter Emilie (1796-1857) und Sohn Gustav Adolph (1794-1859). Die hochbegabte Emilie war schon zur Zeit der Liederkranzgründung 1824 als Chorleiterin tätig und führte den Frauenchor in der neuen Musikgesellschaft sehr erfolgreich bis an ihr Lebensende. Ihr Bruder Gustav Adolph wiederum hat sowohl die Gründung des Stuttgarter Liederkranzes als auch die des Schwäbischen Sängerbundes 1849 vorangetrieben und als Musikverleger die im Land neu entstehenden Chöre fleißig mit Notenmaterial versorgt.
Weihefeier mit „Stuttgarter Frauen- und Herren-Liederkranz“
Vieles könnte hier über die musikalische Arbeit des Liederkranzes berichtet werden. Das ist aber in früheren Festschriften schon oft geschehen, deshalb wollen wir uns nur auf einige wenige Dinge beschränken: zunächst auf die damals viel beachtete Einweihung des vom Liederkranz initiierten Schillerdenkmals am 8. Mai 1839 auf dem Stuttgarter Schillerplatz (siehe SINGEN 07/2011). Eine Lithographie aus dieser Zeit schildert das Ereignis mit den vielen Liederkränzen, die damals die Feier mitgestalteten. Eine Bildlegende nennt eigens den „Stuttgarter Frauen- und Herren-Liederkranz“.
Auf dem Bild sind die Vereine mit ihren Fahnen hinter dem Denkmal angeordnet. Die Sänger tragen dunkle Fracks und schwarze Zylinder, die Sängerinnen wiederum sind vollständig in Weiß gewandet. Statt Hüte führen sie weiße Sonnenschirme mit sich. Drei Frauengruppen sind an der Treppe auf der Rückseite des Denkmals zu identifizieren: Jeweils ein Grüppchen steht mit aufgespannten Schirmen an den Seiten der Treppenstufen. Diese Sängerinnen sind gerade nicht im Einsatz und gehören wohl zu auswärtigen Vereinen mit Frauenstimmen, z.B. zum damals anwesenden Singkranz Heilbronn. Die Plätze in der Mitte der Treppe sind von einer größeren Sängerinnengruppe belegt – es ist wohl der erwähnte Stuttgarter „Frauenliederkranz“. Da die Damen gerade singen, sind ihre Schirme geschlossen.
Loszettel, Liederhalle und Preismedaille
Frauen spielten in Gesangvereinen außer als Sängerinnen auch in sozialen Angelegenheiten immer eine wichtige Rolle, z.B. wenn es um Unterstützung gewisser Vereinsanliegen ging. In Stuttgart halfen sie z.B. durch Verkauf von Losen zur Finanzierung der geplanten Liederhalle mit. Nach seiner Fertigstellung wurde das Gebäude „zu einer der wichtigsten Geburtsstätten der Stuttgarter Musikszene“ und „zum kulturellen und gesellschaftlichen Zentrum der Stadt“.
Der Schwäbische Chorverband wiederum verdankt dem Liederkranz u.a. auch seine erste „Preismedaille“ für den Sängerwettstreit; das prächtige Stück mit dem Bildthema „Wein – Weib – Gesang“ wurde 1850 in Ulm an den Siegerverein überreicht. Und auch mit zahlreichen Werkaufträgen für Chorkompositionen hat der Liederkranz die Chöre hervorragend gefördert. Deshalb gerne: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!