Vorbild „SingPause“: Interview über Kooperationschancen von (Musik-)Schulen und Chören sowie notwendige Rahmenbedingungen
Als Leiter der städtischen Musik- und Kunstschule Böblingen hat Rainer Kropf 2018 die „SingPause“ eingeführt. Heute nehmen sieben Grundschulen mit rund 1.700 Kindern an diesem Projekt teil. Der Regionalchorverband Otto Elben mit Präsident Siegfried Schneider unterstützt die Arbeit seit 2022. Die SINGEN hat die beiden im Doppelinterview nach ihren Erfahrungen gefragt, wo es brennt und was passieren sollte.
Herr Kropf, Herr Schneider, wie kann man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen?
S.Sch: Viele unserer Chöre oder Vereine haben selber nicht die Möglichkeit, etwas in diesem Bereich zu unternehmen, weil sie zu schwach besetzt sind oder vielleicht keine Schule vor Ort haben. Herr Kropf hat das Modell der ‚SingPause‘ ausführlich erklärt und unser Präsidium begeistert. Daraufhin haben wir am Schulsingtag eine Spende übergeben und beschlossen, weiter zusammenzuarbeiten. Wir sehen die Musikschule nicht als Konkurrenz, sondern als Sprungbrett, damit sich die Kinder dort weiterentwickeln. Manche Vereine monieren, dass sie nichts davon haben, aber irgendwann kommen die Jungen vielleicht in deinen Chor oder gründen selbst einen. Ich finde, viele denken da zu kurz.
RK: Ziel ist natürlich, dass die Kinder begeistert werden und später in Chöre eintreten. Dazu ist der erste Schritt, dass sie wissen, dass es den Chorverband und Chöre, auch Kinder- und Jugendchöre überall gibt. Insgesamt profitieren mittlerweile rund 1.700 Kinder aller Jahrgangsstufen von der ‚SingPause‘. Diese vier Jahre sind entscheidend, damit das Projekt seine volle Wirkung entfalten kann. Hier findet dadurch eine große ‚Rundum-Musikalisierung‘ statt, so dass das Singen in Böblingen einfach ganz normal ist. Das merkt man jetzt schon. In der Bläserklasse unserer Musikschule arbeite ich mit Drittklässlern zusammen. Wenn ich etwas mit Singen oder Gesten mache, ist denen sofort klar, was gemeint ist, weil es einfach in der Schule zweimal pro Woche stattfindet.
Gibt es denn schon messbare Ergebnisse oder Rückmeldungen, was trotz Corona-Delle durch die ‚SingPause‘ in den letzten Jahren angestoßen wurde?
RK: Wir erhalten grundsätzlich sehr viel positive Rückmeldung, ohne die ein solches Projekt nicht möglich wäre. In Böblingen ist es gelungen, sieben Grundschulen für die ‚SingPause‘ zu begeistern – ein großer Erfolg. Ich persönlich bin absoluter Fan der ‚SingPause‘, sie ist ein Herzensprojekt. Ich bin kein Sänger, ich habe keinen sängerischen Hintergrund, weiß aber, wie wichtig das für die Entwicklung der Kinder ist und dass Singen glücklich macht. Ich hatte von der Musik-Lehrkraft einer fünften Klasse Gymnasium schon die Rückmeldung bekommen, dass sie es spüren, dass die neuen fünften Klassen einfach viel musikalischer sind und viel besser singen als bisher. Es geht ja da nicht nur ums Bespaßen und Liedersingen. Es geht ja auch um Intonation, Rhythmus, alle Elemente der Ward-Methode.
S.Sch: Am Anfang waren unsere Vorstände in den Vereinen skeptisch, beispielsweise die gesagt haben: ‚Wir auf dem Land haben nichts davon.‘ Doch unser Anspruch als Chorverband ist es, auf irgendeine Art und Weise Kinder zum Singen zu bringen. Problem sind immer wieder das Personal und die Finanzierung. Was mich gewundert hat: Ich war letztes Jahr im Gespräch mit einigen Bundestagsabgeordneten aus Böblingen Es ging unter anderem um das Thema Schule und Verein und ihre Zusammenarbeit. Eine Abgeordnete sprach mit mir über das Thema Ganztagsschule und dass es ganz wichtig sei, den Sport aufzunehmen. Das Schlimmste ist für mich, dass Musik im Ganztag in den Köpfen der Politik überhaupt nicht drin ist.
Nach allem, was Sie erzählen, hat die ‚SingPause‘ abgesehen von Personal und Finanzierung keinen Haken, nur Vorteile und ist aber etwas Singuläres in Böblingen. Herr Kropf, könnte aus Ihrer Sicht jede Stadt mit Musikschule Ihnen nacheifern?
RK: Sehr gerne. Es sind auch schon einige Nacheiferer und Voreiferer dabei. Wir haben die ‚SingPause‘ ja nicht erfunden. Es tut sich was. Es ist halt immer die Frage: Wie viel ist die Bildung der Kommune wert oder kann der Kommune wert sein? Das ist natürlich sehr kostenintensiv. Die Spende vom Chorverband ist schön, die konnten wir auch gut nutzen, aber das ist natürlich keine langfristige Finanzierung. Der Start gelingt oft nur mit Sponsoren, aber die Finanzierung muss dauerhaft gesichert sein, denn die ‚SingPause‘ macht ja nur Sinn, wenn sie viele Jahre läuft. Wenn es ans Geld geht, ziehen sich Landtags- und Bundestagsabgeordnete fein raus und brechen es auf die Kommune runter. Böblingen steht voll dahinter und wir haben vom Gemeinderat einstimmig wieder die Zusage für drei weitere Jahre bekommen. Personalkosten für drei Jahre – das ist eine Riesensumme! Die Stadt Böblingen investiert da nicht in die Musikschule oder das Singen, sondern sie investiert in die Kinder, in die Familie, in die Bildung. Und das ist etwas ganz Großartiges und es würde mich freuen, wenn es ganz viele weitere Nacheiferer gibt!
Herr Schneider, deswegen die Frage an Sie: Es gibt viele Kommunen, die sehr klamm sind, selbst wenn sie inhaltlich davon überzeugt wären. Ist das nicht die Chance für Vereine, womit dann gleich auch die Nachwuchswerbung einbezogen sein könnte?
S.Sch: Auf der einen Seite schon, auf der anderen Seite ist es sehr schwierig, in die Schulen reinzukommen. Wir haben bei uns im Präsidium einen Kooperationsbeauftragten Schule und Verein, der ziemlich unterwegs ist, viel versucht, vieles macht. Die Schulen sagen oft: ‚Wir haben im Moment andere Probleme‘ oder ‚Wir können das nicht leisten.‘ Das Zweite ist vor allem das Personal. Wenn es entsprechend der Ward-Methode ausgebildet ist, kommt es oft von weiter weg. Damit bleibt meines Erachtens ganz wenig Zeit, um überhaupt sowas in Schulen zu implementieren. Wir wollen demnächst ein Konzept erarbeiten. Aber wie Herr Kropf schon sagte: Es scheitert überwiegend am Finanziellen.
Lassen Sich dann Kooperationen, die nicht am Konzept der SingPause orientiert sind vielleicht leichter umsetzen?
S.Sch: Es müsste schon jemand Ausgebildetes sein. Es gibt einige Schulen, die eigene Schulchöre haben. Zu den brauchen wir nicht gehen, um keine Konkurrenz aufzubauen. Und in der Regel macht einfach keiner den ersten richtigen Schritt. Im Moment versuchen wir, über die Schulleitungen anzukommen. Dort gibt es oft Ganztagesförderungsbeauftragte, die sagen alle: ‚Wir sind in Gesprächen, ihr seid einer von vielen.‘ Es ist schwierig und ich glaube einfach, dass wir zu spät dran sind, dass andere schneller waren als wir.
RK: Das ist eine sehr ehrliche Einschätzung. Ich komme ursprünglich aus der Blasmusikszene und da ist es mit den Musikvereinen teilweise ähnlich. Die haben meiner Beobachtung nach aber immer schon eine höhere Investition an Nachwuchsarbeit getan als die Chorverbände oder Chorvereine. Wenn man lang keine Nachwuchsarbeit macht – da reichen schon zwei bis drei Jahre – dann hat man eine Riesenlücke. Das Zweite ist das Thema Ehrenamt in Schulen: Da braucht es eine Sicherstellung der Personalleistung. Es muss ja klar sein, dass es sich um keine AG handelt, die mal stattfindet oder auch mal ausfallen kann, sondern um eine zuverlässige Betreuung. Da ist die Chance bei Musikschulen mit festangestelltem Personal hoch und gut. Im Ehrenamt ist es schwieriger, Menschen zu kriegen, die dann da regelmäßig in die Schulen gehen.
Ich sehe ein großes Potenzial bei den Musikschulen – vorausgesetzt, sie arbeiten auf Augenhöhe mit den Vereinen vor Ort. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso man immer noch Konkurrenzsituationen hat, anstatt sich an einen Tisch zu setzen und zu sagen ‚Hey, wir wollen beide dasselbe, nämlich musikalische Nachwuchsarbeit!‘ Am besten versucht man Veränderungs- oder Verbesserungsprozesse herbeizuführen, wenn es gut läuft. Wenn es einem schlecht geht, ist es fast zu spät.
S.Sch: Singen ist teilweise immer noch uncool und von der Seite her tun sich die Vorstände in meinen Augen da ziemlich schwer, etwas anzubieten, das Kinder super toll finden.
RK: Da muss ich ein bisschen widersprechen! Ich bin sicher, die Generation ‚SingPause‘ in Böblingen findet das Singen nicht uncool – es ist etwas Selbstverständliches. Das Problem ist, dass in den Familien nicht mehr gesungen wird, so wie früher in meiner Generation, als das Singen an der Tagesordnung war.
S.Sch: Es kommt darauf an, was ich singe. Ein eigenes Kindermusical ist natürlich eine tolle Sache. Ich sehe das größere Problem, dass viele einfach nicht wissen, was sie machen sollen. Ich finde die ‚SingPause‘ so vorbildlich, dass man auch sagen kann: ‚Lasst uns gucken, was die machen!‘
Gibt es einen exemplarischen Königsweg? Vereine gehen auf Musikschulen zu, beide überlegen sich ein Konzept und gehen dann gemeinsam auf Grundschulen zu? Aus Sängerin-Sicht kann ich bestätigen, dass es wohl nur aussichtsreich ist, Kinder für das Singen zu begeistern, wenn die Stücke ihren Nerv treffen. Mit dem völlig falschen Repertoire erreicht man unter Umständen eher das Gegenteil, oder?
RK: Es gibt regional eine sehr große Heterogenität in der Musikbildungslandschaft. Die wichtigsten Schritte haben Sie gesagt: Zusammensetzen, auf Augenhöhe ein Konzept erarbeiten. Was ist der Part des Chorvereins, was ist der Part der Musikschule? Wie ist die Situation am Ort? Das ist sehr individuell, da gibt es keinen Königsweg.
S.Sch: Sehe ich auch so. Und natürlich geht es auch um die Finanzierung.
RK: Die Musikschulen haben diesbezüglich auch Schwierigkeiten. Das sogenannte Herrenberg-Urteil mit der Umstellung von Honorar- auf Festanstellung ist bei vielen Musikschulen und Kommunen ein großes Thema. Es ist eine Riesenchance für die Zukunft – gerade beim Thema GaFöG. Aber natürlich ist das auch mit Kosten verbunden. Manchen ist immer noch nicht klar, dass unsere Zukunft in der Bildung unserer Kinder steckt. Man müsste, wenn es um Wirtschaftsschwäche des Landes geht, in die Kinder und in ihre musikalische Bildung investieren und bei Lehrermangel nicht als erstes Musik kürzen oder fachfremd unterrichten lassen. Deswegen setze ich in die ‚SingPause‘ große Hoffnung, dass sie in die Gesellschaft rein wirkt. Dass die Kindern lernen, zuhören zu können. Social Media hat alles verändert, die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder liegt bei acht Sekunden, dann wird weiter nach oben geswipt.
Gegen Ende unseres Gesprächs: Wo sehen Sie die Schwierigkeit bzw. die Chance im GaFöG?
S.Sch: Ich brauche die Kapazitäten, ich brauche also jemand, der das leisten kann, und ich brauche finanzielle Mittel dafür. Und die Schulen müssen mitmachen. Man muss sehr vorsichtig mit dem Thema umgehen und ich würde nicht nur den Verein vor Ort, sondern auch uns, den Chorverband, ins Spiel bringen, indem wir unseren Kooperationsbeauftragten für Schule und Verein dort mit einsetzen.
RK: Die Musikschulen haben ein fertiges Konzept vorgelegt. Das hat relativ viel Gewicht in der Politik. Mal wieder ist das Problem, dass ein Bundesgesetz auf die Länder delegiert wird und die Kommunen es ausführen müssen und die Finanzierung noch nicht klar ist. Wie soll das funktionieren? Im Moment ist es so, dass eine Musikschullehrkraft einfach weit unter einer Grundschulkraft bezahlt wird. Bei dem Thema GaFöG habe ich mich übrigens mit dem Sportverband Böblingen unterhalten. ‚Kommt, wir setzen uns zusammen, wir machen was für Böblingen, wir machen was gemeinsam!‘ Nicht, dass jeder hinrennt und sagt ‚Ich will!‘, sondern dass wir gemeinsam Kräfte bündeln.
Abschließendes Plädoyer: Sie haben positive Erfahrungen mit der Kooperation von Musikschule, Schule und Verein bzw. Verband gemacht. Warum sollten sich andere auch darum bemühen?
RK: Weil es langfristig keine Alternative gibt! Die Ressourcen sind zu begrenzt dafür, sowohl finanziell als auch personell. Auch die Ansprüche werden immer größer und die Umsetzung wird immer schwieriger. Wenn man langfristig denkt, sehe ich keine Alternative. Mein Wunsch wäre, dass man – wenn man in diese Gespräche geht – bei sämtlichen Befindlichkeiten persönlicher Art oder vergangenen Ressentiments auf den Reset-Button drückt und es ausprobiert. Es wird nicht überall funktionieren, denn es gibt keinen Königsweg, aber man muss zumindest mal loslaufen.
S.Sch: Ich bin überzeugt, dass Kooperationen die Zukunft unserer Vereine bedeuten, die Kinder, die man jetzt in jungen Jahren zum Singen bringt. Man wird nie alle bekommen, ganz klar, aber wir müssen das intensiv betreiben und voll dahinter stehen! Das ist für mich eine kulturelle Verantwortung, aber auch eine soziale, und das muss gemacht werden! Dafür braucht es gewisse Rahmenbedingungen. Kinder zum Singen zu bringen haben wir uns als Chorverband auf die Fahne geschrieben.
Lieber Herr Schneider, lieber Herr Kropf, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch.
Das Interview führte Sandra Bildmann.