SCV startet neue C2-Ausbildung mit besonderer Ausrichtung
Im neuen Bildungsprogramm 2022/23 der Chorakademie Baden-Württemberg bietet der Schwäbische Chorverband erstmals eine neue C2-Ausbildung mit dem Fokus auf Community Singing an, einer Art und Weise des Singens, die sich an Community Music orientiert.
Der Name „Community Music“ ist Programm, denn bei diesem in Deutschland noch eher unbekannten Ansatz geht es um das Musizieren in Gemeinschaft: „Bei der Ausbildung in Community Singing geht es um das Anleiten einer Singaktivität, die grundsätzlich darauf ausgerichtet ist, Beziehungen zwischen den Anwesenden zu stiften sowie ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen, und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Teilnehmenden sich einbringen können“, erklärt Marion Haak-Schulenburg. Sie ist Community Musician mit dem Schwerpunkt Chorarbeit und interkulturelle musikalische Arbeit und leitet die neue Ausbildung gemeinsam mit Inga Brüseke, der Künstlerischen Leiterin der Chorakademie Baden-Württemberg.
Während bei „herkömmlicher“ Chorarbeit häufig die Chorleitung das Programm entscheidet und die Aufmerksamkeit vor allem darauf liegt, dass alle lernen, diese Musik richtig zu singen, geht der Ansatz des Community Singings einen anderen Weg: Hier wird i.d.R. gemeinsam entschieden, was gesungen wird, und auch Improvisation, Gruppen-Songwriting und Live-Arrangements können eine Rolle spielen. „Dem Prozess wird der gleiche Wert gegeben wie dem Ziel, z. B. einer Aufführung“, erläutert Marion Haak-Schulenburg. „Die sozialen Beziehungen und Interaktionen innerhalb des Chores geschehen somit nicht nur nebenbei, sondern werden dabei bewusst gefördert.“
Beim Einsingen beispielsweise gibt es bei einem klassischen Chor üblicherweise eine Chorleitung und mehrere Stimmgruppen, und das Warm Up dient dem Ziel, die Stimme aufzuwärmen. Beim Community Singing nimmt die Chorleitung bewusst den Zustand der Gruppe auf und reagiert je nach Stimmung: Brauchen die Mitglieder gerade eher eine aktivierende Übung oder eher etwas, das sie „runterbringt“? Wie sorge ich dafür, dass sie sich auch mal ansehen und zulächeln und wie stelle ich vertrauensvolle Beziehungen her? Ein Warm Up hat hier also nicht nur eine stimmliche Funktion, sondern auch eine soziale.
Qualitätsverlust ohne Chorleitung?
Wer nun aber denkt, die Rolle der musikalischen Qualität käme hierbei zu kurz oder wäre der sozialen untergeordnet, liegt falsch: „Eine Gruppenidentifikation und gute Beziehungen brauchen, wenn man sie über Musik entwickeln will, auch eine gute Qualität im Musikalischen“, ist Marion Haak-Schulenburg überzeugt. Ein Dirigent oder eine Dirigentin muss im Kontext des Community Singing beides mitbringen: sowohl eine gute musikalische Ausbildung – für die Teilnahme am SCV-Seminar wird ein C1-Niveau vorausgesetzt – als auch die nötigen sozialen Kompetenzen und Know-Hows. Der Community-Music-Ansatz ist somit als eine Erweiterung des traditionellen Ausbildungswegs anzusehen, bei dem der Fokus verschoben ist:
Während der reguläre C2-Lehrgang vergleichsweise mehr und intensivere Einheiten zu Tonsatz, Gehörbildung, Dirigierschemata etc. beinhaltet, stellt die Ausbildung in Community Music die soziale Qualität der musikalischen gleich und umfasst somit mehr intensive Einheiten im Bereich der Gruppenleitung mit entsprechenden Methoden und Tools.
Die Aufführung als wichtiges Element
Wie in der „herkömmlichen“ Chorarbeit können auch beim Community Singing Aufführungen eine Rolle spielen. Marion Haak-Schulenburg findet solche Ziele sogar wichtig: „Wenn sich da alle einig sind und die Gruppe Lust darauf hat, die erarbeiteten Dinge auch aufzuführen, dann ist das eine Spitzenidee“, erklärt sie. „Ich halte viel von einer Fokussierung auf eine Aufführung hin – das macht für die Gruppe auch sehr viel aus an Zusammenhalt und Freude.“ Hinsichtlich des Repertoires wiederum stützt sich eine Chorleitung mit Community-Singing-Ansatz jedoch sicher eher auf andere Formate als sonst meist üblich: Von Improvisationen im Konzert über Gruppenkompositionen, die gezeigt werden, bis hin zur Einbeziehung des Publikums – zumindest an manchen Stellen – ist alles denkbar. „Das heißt nicht, dass man nicht auch Stücke singt, die man mit oder auch ohne Noten gelernt hat“, ergänzt Marion Haak-Schulenburg. „Aber es ist schon ein anderer Ansatz, der sich die Freiheit nimmt, mit Musik als Material umzugehen, das der gemeinsamen Freude dient. Es geht weniger um das stilgerechte Aufführen eines bestimmten Werkes, sondern der Fokus geht weg vom Kunstwerk hin zu Beziehung und gemeinsamer Freude mit Musik und durch Musik.“
Alle Kreativität und Flexibilität setzen jedoch natürlich konkrete Konzepte und Rahmenstrukturen voraus, die Orientierung geben und dazu führen, dass das Resultat dann auch spannend und „konzertreif“ klingt. „Hier gibt es wirklich tolle Ideen und Ansätze, die mir persönlich in meiner Chorleitungs-Ausbildung nie begegnet sind“, sagt Marion Haak-Schulenburg. „Der Kern der Aufgabe bei Community Music ist immer, für jede und jeden einen Platz in der Gruppe zu schaffen. Sowohl für die, die glauben, sie könnten nicht singen, als auch für die, die selbstbewusst wissen, dass sie es können. Heterogen sind Gruppen genau genommen sowieso immer – wir sind schließlich verschiedene Menschen. Und die Frage der musikalischen Vorbildung ist tatsächlich gar nicht so relevant, wenn ich die Musik so anlege, dass es verschiedene Wege gibt, seine Fähigkeiten einzubringen. Zum Beispiel indem ich Soli vergebe oder mit Kleingruppen arbeite und jeder davon einen ‚Experten‘ aus der Gruppe zur Seite stelle. Gerade dass eine Gruppe unterschiedlich ist, bereichert sie. Und auch dadurch kann ich die Binnenbeziehungen stärken.“
Die C2-Ausbildung „Community Singing“ ist deutschlandweit einzigartig. Sie geht aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen an und vermittelt Kompetenzen in der vokalen Ensembleleitung im Schnittfeld von sozialer Arbeit, Kulturarbeit und künstlerischer Chorarbeit. Ausbildungsziele sind das Anleiten von Warm Ups (physiologisch und sozial), die Einstudierung und Anleitung bekannter Stücke, die Anleitung einer Gruppengestaltung und die Befähigung zur Anleitung von Community-Singing-Prozessen. Vermittelt werden dafür Prinzipien und Methoden des Community Singings, Anleitungsgestik und Schlagtechnik, individuelle Stimmbildung, Stimmphysiologie, Repertoireauswahl, angewandte Musiktheorie und Gehörbildung sowie Wissen im Bereich Chor – Verband – Recht.