Singen als Hobby im Alter neu entdecken: Es muss nicht immer Volkslied sein.
Singen – eines der schönsten Hobbys der Welt! Ein Chorleben kann exemplarisch so aussehen: Es beginnt mit dem Sing- und Spielkreis, dann Kinderchor und Schulchöre, Jugendchor und schließlich – endlich – der Erwachsenenchor. Egal, ob Klassik, Pop, Rock oder Jazz oder was es sonst noch so alles gibt. Bei dem einen Chor ist mehr Bewegung dabei, bei dem anderen mehr intonatorischer Feinschliff, hier wird mehr auf Ausdruck gesetzt, da mehr auf historische informierte Aufführungspraxis und so weiter. Doch eines haben definitiv alle gemeinsam: ein Chor ist eine Gemeinschaft, ob jung oder alt spielt dabei keine Rolle.
Doch im Laufe des Lebens verändert sich die Stimme eines jeden Einzelnen. Und irgendwann kann es sein, dass man nicht mehr so recht mithalten kann im eigenen Chor oder vielleicht lieber mit mehr Gleichaltrigen Musik machen möchte. Dann könnte man in einem sogenannten Seniorenchor singen. Aber was ist das eigentlich genau? Muss ich da mit lauter „Alten“ Volkslieder singen oder ist das eine lahme Runde, die sich nur über Zipperlein austauscht? Weit gefehlt! Der Begriff „Seniorenchor“ ist hier vielleicht irreführend. Denn es geht um Gemeinschaft, Spaß an Musik und darum, die gemeinsame Zeit mit Leben und Klang zu füllen. Die einen haben schon immer im Chor gesungen und passen jetzt vielleicht altersmäßig nicht mehr dafür, die anderen wollten seit der Kindheit wieder singen und hatten zwischen Beruf und Familie nicht die Zeit dazu. Sie alle eint, dass sie die Chance haben, gemeinsam im Seniorenchor zu singen. Um das etwas mit Leben zu füllen, schauen wir uns zwei dieser Chöre etwas genauer an. Ulrich Mangold leitet den Chor der Musikakademie für Senioren Baden-Württemberg e.V. in Stuttgart. Die Akademie bietet neben dem Chor noch Vorträge, Exkursionen und Kurse für ältere Menschen an und hat ein Orchester und eine Jazzband. Der Kirchenmusiker Mangold leitet mehrere Chöre und hat vor etwa zehn Jahren festgestellt, dass es einen Bedarf gibt, nämlich den für einen Chor, in dem Menschen im Alter tagsüber gemeinsam Musik machen können. Festgestellt hat er das durch vermehrte Anfragen von Sänger:innen, die oft mit dem Nachsatz endeten „… ich bin aber im Ruhestand“, für Ulrich Mangold braucht es dieses „aber“ nicht! Denn genau für die Menschen mit diesen Anfragen gibt es den Seniorenchor. Denn nicht jeder ist bei jedem Chor willkommen und viele, die heute beim Seniorenchor singen, wurden bereits anderswo abgelehnt.
Das Angebot ist niederschwellig und soll vor allem Spaß machen, doch wer da nur einstimmige Volkslieder erwartet, wird eines Besseren belehrt. Die Literatur muss leicht zu erfassen sein, aber es geht durch alle Genres: Gospel, Pop, Klassik, Jazz, Schlager und auch ein paar Volkslieder finden sich im Repertoire. Natürlich steht nicht das große Konzert im Vordergrund, doch gemeinsame Auftritte gibt es durchaus. Die Sänger:innen sollen aber vor allem die Möglichkeit haben, sich singend auszuprobieren. Dazu wird auch Stimmbildung angeboten – für viele eine ganz neue Erfahrung.
Ein erfüllendes Hobby für eine neue Lebenssituation
Der Bedarf ist groß, die Zielgruppe auch. Viele suchen im Ruhestand etwas Erfüllendes und auch eine neue Lernmöglichkeit. Beides finden sie im Chor – darüber hinaus neue Kontakte zu Menschen in ähnlichen Lebenssituationen. Und es kann tagsüber geprobt werden. Die Sänger:innen haben nicht nur eine gute Zeit mit einem erfüllenden Hobby, sondern profitieren auch noch anderweitig vom Chorsingen: die positiven Effekte des Singens tragen enorm zur Gesundheitsprävention bei, zum Beispiel zur Demenzvorbeugung.
Die Gemeinschaft, die ein Chor bildet, wissen vor allem auch die älteren Sänger:innen sehr zu schätzen. Ulrich Mangolds Chormitglieder treffen sich auch außerhalb der Probenzeiten, sei es zum gemeinsamen Theater-, Konzert- oder Restaurantbesuch oder auch einfach nur zum Quatschen. Denn eines kann eine Chorgemeinschaft auf jeden Fall: sie wirkt der Einsamkeit entgegen. Gerade in der Coronazeit wurde dies deutlich. Live proben war nicht möglich, aber eine Runde zum Austausch und einfachen Singen digital wollte ein Großteil des Chores nicht missen. So wurde in der schwierigen Zeit Kontakt gehalten, Geburtstage wurden digital gefeiert und die Gemeinschaft gestärkt.
So ein Chor braucht Zeit – Zeit zum Lernen, Zeit, sich an alles zu gewöhnen. Nicht für alle geht das Notenlesen leicht von der Hand, nicht jede:r kann sich so schnell in neue Genres eindenken. Aber die Chorist:innen geben genau diese Zeit auch wieder zurück, indem sie sich aktiv einbringen und im Verein ehrenamtlich engagieren. Auch das fördert das Miteinander. Da ist dann auch der ein oder andere starke Charakter dabei, die ein oder andere Eigenheit ist im Alter anstrengend geworden, doch das alles trägt die Gemeinschaft, hält die Gruppe aus.
Gemeinsam altern
Denn was hier geschieht – geschehen darf – ist etwas ganz Natürliches. Die Gruppe altert gemeinsam. Das muss nicht negativ sein und auch nicht mit Nachteilen behaftet. Ulrich Mangold sieht dies als Chance: „Die Sänger:innen altern mit den Chorleiter:innen.“ Gerade in Zeiten, wo es teilweise recht schwierig ist, jüngere Mitsänger:innen zu finden oder in ältere Gruppen zu integrieren, ist auch das ein Zukunftskonzept: Wir werden gemeinsam alt. Da muss aber auch die Chorleitung etwas ändern und ihren Anspruch dem anpassen, das heißt nicht, dass dieser runtergeschraubt werden muss, einfach nur neu ausgerichtet. „Der Wunsch zu singen ist da, da braucht es etwas für die Breite“, schließt Ulrich Mangold. Er hat festgestellt, dass immer mehr Seniorenchöre gegründet werden, vielleicht ist das tatsächlich ein Konzept für den ein oder anderen Chor da draußen! Vielleicht wird auch Ihr Chor einfach gemeinsam mit der Chorleitung zum Seniorenchor?
Einen weiteren Chor für Seniorinnen und Senioren schauen wir uns noch an. Der Weg führt uns nach Tübingen zu „Off Track – Rock- und Pop-Chor für Ältere“. Der Name bedeutet so viel wie „etwas neben der Spur“, was den Chor eigentlich treffend beschreibt. Eine Gruppe von etwa 30 Sänger:innen, die eine Bühnenshow abliefern, die ihresgleichen sucht. Eine energiegeladene Darbietung mit viel Witz und Action. Aber wir kam es dazu?
Inspiriert wurde die Chorgründung durch den Dokumentarfilm über den amerikanischen Chor „Young@Heart“, bei dem sich 1982 eine Gruppe älterer Menschen in den USA zu einem Rock- und Popchor zusammengeschlossen hatte. Seit bald 13 Jahren singt das deutsche Pendant, dessen Durchschnittalter in etwa bei 70 liegt, Musik aus ihrer Jugendzeit. Geleitet wird der Chor von der Chorleiterin und Gesangspädagogin Jane Rudnick, die aus den USA stammt. Irgendwie passt das auch zur Art und dem Repertoire des Chores.In Deutschland sieht man nicht andauernd Chöre auf der Bühne, die eine Choreographie haben, welche, die direkt eine ganze Show auf die Bühne bringen, sind noch seltener. Wenn sie dann noch aus Senior:innen bestehen … da hat Off Track ein Alleinstellungsmerkmal!
Zu jung für den Chor?
Normalerweise haben Chöre oft ein Höchstalter, Off Track hat ein Mindestalter: Die Sänger:innen müssen mindestens 60 Jahre alt sein, um mitsingen zu dürfen. Dazu gibt es dann ein Vorsingen, um die Belastbarkeit der Stimme zu prüfen. Und da die Gruppe nur etwa 30 Mitglieder umfasst, muss es auch menschlich stimmen. So kommt es auch, dass beim Vorsingen neuer Sänger:innen immer ein paar Chormitglieder dabei sind, aber nicht etwa zum Zuhören, sondern zum Mitmachen. Dadurch wird die ungewohnte Situation für die Neulinge angenehmer und Jane Rudnick kann direkt auch das Zusammenspiel hören. Vor allem wird nachgesungen und gemeinsam improvisiert, da kann dann auch die Flexibilität und das Aufnahmetempo mit geprüft werden. Wer dann Chormitglied werden darf, entscheidet der gesamte Chor demokratisch, so bleibt gewährleistet, dass es zusammen passt. Natürlich gibt die Leiterin ihr Votum zum musikalischen Können ab, aber der Chor hat das letzte Wort.
Jane Rudnick bezeichnet ihren Chor gern als eine sehr große Familie. Vielleicht ist das auch ein Faktor, der unterstützt, dass die Sänger:innen von Off Track so große Fortschritte machen, beim Singen, bei der Intonation und bei der Bewegung. Sie werden immer besser und besser. „Sie gehen auf die Bühne, als wäre es ihr letztes Konzert – jedes Mal“, berichtet die Chorleiterin, „das ergibt eine ganz andere Energie und Qualität“.
Vom Chor zum Bühnenensemble
Natürlich war der Chor anfangs nicht direkt ein Bühnenensemble, auch hier hat es Zeit gebraucht. Erschwerend kam hinzu, dass fast ausschließlich auf Englisch gesungen wird und alles auswendig, was bei einer aufwendigen Choreographie dann gar nicht anders geht. Die muss auch noch einstudiert werden … nicht jede:r ist gewohnt, sich auf der Bühne so zu bewegen. Doch die Chorist:innen büffeln fleißig die Texte, obwohl gar nicht jede:r Englisch kann! Sie lernen Schrittfolgen auswendig und das hält fit: Kopf und Körper. Eine Off Track-Probe ist sehr aktivierend, mit Klatschen von Rhythmen und Bewegungsübungen, bei denen der ganze Raum genutzt wird. Langweilig wird es nie.
Gemeinschaft wird auch hier groß geschrieben, die Gruppe fährt auf Chorfreizeiten und macht Intensivproben vor den Konzerten. Auf der Bühne kann man das dann in Form von Energie spüren, der Funke springt auf das Publikum über. So erhält Jane Rudnick nach Konzerten regelmäßig Nachrichten mit Fragen zur Gründung eigener Seniorenchöre, die Menschen sind inspiriert und wollen auch so etwas auf die Bühne bringen. „Das ist großartig, denn wir wurden ja auch von einem anderen Chor inspiriert“, freut sich die Chorleiterin, „bei Off Track gibt es eine Devise: es muss Spaß machen.“