Der stellvertretende SCV-Musikdirektor Tilmann Heiland gibt Anregungen, wie man das Thema „Anwesenheit bei Proben“ angehen kann
Alle kennen es: Man kommt in die Chorprobe und etliche – zu viele! – sind nicht da. Alle sind frustriert: die Chorleitung, weil sie den vorbereiteten Probenplan ändern muss; die Anwesenden, weil das, was „heute dran ist“, später nochmal wiederholt werden muss; und auch die Abwesenden, weil sie vieles an Informationen nicht oder (später dann) nur reduziert erhalten.
Ich wurde gebeten, aus meinen Erfahrungen heraus zu diesem Thema etwas zu schreiben, was für den Probenalltag tauglich und umsetzbar ist, und mein erster Gedanke war: „O je, das weiß ich doch auch nicht!“ Denn solche Erfahrungen habe ich als Chorleiter natürlich auch gemacht – ein Patentrezept habe ich jedoch nicht. Ich glaube, es gibt auch keins – einfach deshalb nicht, weil die Gründe für mangelhafte Probenteilnahme vielfältig sind und auch von Chor zu Chor variieren.
Warum fehlen Leute in der Probe?
Vorab: Wenn es in einem Chor „gut läuft“, d. h. das menschliche Klima stimmt und die musikalische Arbeit im Großen und Ganzen erfolgreich ist (es funktioniert nie immer alles perfekt!), dann darf man in der Regel davon ausgehen, dass es nicht an mangelnder Motivation, an Nachlässigkeit oder gar Böswilligkeit liegt, wenn ein Chormitglied mal fehlt. Man hat sich ja bewusst dazu entschieden, in einem Chor zu singen. Meist sind es also dann andere und – aus Sicht der/des Einzelnen – durchaus nachvollziehbare Gründe.
Wo dies dennoch der Fall ist, also Frustration und Unlust den Choralltag prägen, liegt das Problem mit Sicherheit tiefer. Hier wäre eine ehrliche Aufarbeitung vorhandener Probleme im Chor bzw. Verein dringend nötig. Dazu ist auch eine Beratung von außerhalb, ein Coaching für alle – Chor, Chorleitung, Vorstand – sicherlich hilfreich. Doch dies soll nicht Thema dieses Beitrags sein, hierzu verweise ich z. B. auf das Interview mit Regina Ritter in dieser Ausgabe sowie auf entsprechende Angebote des SCV.
Wer also fehlt wann und warum? Viele Chöre haben ihren Arbeitsrhythmus dem Rhythmus des Schuljahres angepasst, d. h. es gibt eine lange Sommerpause, eine Pause über Weihnachten und in der Regel auch die Berücksichtigung der weiteren Ferienzeiten (hierzu später mehr). Nun gibt es aber viele Chormitglieder, die keine Kinder im schulpflichtigen Alter (mehr) haben und deshalb mit ihrer Urlaubsplanung nicht (mehr) an die Schulferien gebunden sind. Kann man es ihnen verdenken, wenn sie dann in den Zeiten ihren Urlaub planen, wo es eben nicht so voll und meistens auch deutlich billiger ist?
Umgekehrt: Immer etwa Mitte Oktober (nach den ersten Wochen im neuen Schuljahr) und Mitte Februar (nach Beginn des zweiten Halbjahres) – also meist auch in der Anfangsphase der Proben zu einem neuen Programm – finden für diejenigen, die schulpflichtige Kinder haben, Elternabende statt, meistens zwischen den Schulen terminlich nicht koordiniert, schon gar nicht über Gemeindegrenzen hinweg. Wenn also jemand mehrere Kinder an verschiedenen Schulen hat, kann das schon mal mehrere Probentermine betreffen.
Weiter: In meiner mittlerweile über 45-jährigen Tätigkeit als Chorleiter habe ich feststellen müssen, dass die berufliche Belastung vieler Chormitglieder, etwa durch Auswärtstermine (dann sind sie gar nicht da) oder durch lange Meetings etc. (dann sind sie u. U. zu müde) mit den Jahren immer mehr gestiegen ist. Bewundernswert, dass dann trotzdem viele in die Probe kommen, obwohl sie eigentlich „platt“ sind, weil es sie wieder auf andere Gedanken bringt. Selbstverständlich ist das nicht!
Und nicht zuletzt: Gerade im Winterhalbjahr beobachte ich seit Corona bei vielen eine verstärkte Anfälligkeit für Atemwegserkrankungen – und auch die Einsicht, dass es dann mit Rücksicht auf die anderen durchaus sinnvoll sein kann, zuhause zu bleiben.
Fazit: Sofern wir also in unserem Chor nicht gravierende interne Probleme haben, die zu Frustration und daraus resultierender „Probenverweigerung“ führen, handelt es sich hier um Probleme von „außen“, auf die wir keinen oder nur sehr geringen Einfluss haben. Was kann man also tun? Ein paar Vorschläge:
1. Abmeldekultur
Es sollte selbstverständlich sein, dass jemand bei absehbarer Abwesenheit, sei es beruflich oder privat, sich rechtzeitig! (nicht erst eine Woche vorher oder gar noch kurzfristiger) bei der Chorleitung abmeldet, damit diese sich entsprechend vorbereiten kann. Urlaubstermine, Elternabende oder berufliche Gründe sind nämlich meistens lange vorher bekannt. Ich empfehle, solche Abmeldungen in standardisierter Form vorzunehmen, sei es per E-Mail oder über inzwischen vorhandene Apps (s. SINGEN 05/2025).
Wichtig: Solch ein standardisiertes Vorgehen ist nur dann etwas wert, wenn es von allen auch genutzt wird! Es sollte, genau wie der regelmäßige Probenbesuch im „Normalfall“, zur allgemeinen Chordisziplin gehören. Nota bene: Es ist ein Gebot der Höflichkeit, sich auch bei unvorhergesehenen Gründen wie Krankheit bei der Chorleitung abzumelden – auch wenn diese dann ihre Probenplanung evtl. nicht mehr ändern kann (siehe jedoch unten Nr. 5).
2. Verpflichtende Anmeldung: ja, nein? – verbunden mit langfristiger Jahresplanung
Es gibt Chöre, die von ihren Mitgliedern eine verpflichtende Anmeldung zu den einzelnen Projekten erwarten, ggf. verbunden mit Aussagen wie „wer dreimal nicht kommen kann / wer nicht zu den letzten Proben kommen kann / wer zur Generalprobe nicht kommen kann, kann auch nicht mitsingen“ oder dergleichen.
Diese Methode hat durchaus etwas für sich, erzieht sie doch zusätzlich zur (Selbst-)Disziplin (für alle Seiten). Ich würde sie jedoch modifizieren: Was tun, wenn sich ausgerechnet die zwei „Zugpferde“ einer Stimme deshalb nicht anmelden, weil sie eben doch dreimal fehlen müssen? Ich empfehle hier den „juristischen“ Ansatz, dass etwas zwar „grundsätzlich“ gilt, Ausnahmen nach individueller Rücksprache aber möglich sind. Man kann auch auf die verpflichtende Anmeldung verzichten, wenn man signalisiert, dass jedes Projekt „grundsätzlich“ (s. o.) als verpflichtend angesehen wird (sonst wäre man ja nicht im Chor) und dennoch Rücksprachen in den o.g. Fällen erwartet werden. Es versteht sich von selbst, dass jede dieser Vorgehensweisen im Chor kommuniziert werden muss!
Zwingend notwendig seitens Chorleitung und Vorstand ist jedoch in jedem Fall, dass die Termine (auch die der Proben!) langfristig vorher bekanntgemacht – im Idealfall ein Jahr im Voraus! – und wenn nötig regelmäßig aktualisiert werden. Dabei müssen Chorleitung und Vorstand natürlich wissen, was dem Chor – musikalisch wie terminlich – übers Jahr zugemutet werden kann: Machen wir nur ein „großes“ Jahreskonzert oder haben wir mehrere Konzerttermine? Wie sieht’s aus mit „Kasualien“ wie Ständchen etc. (Achtung: Die brauchen immer Probenzeit, weil immer jemand dabei ist, der auch Repertoirestücke zum ersten Mal singt!)? Und last but not least: Sollten wir unsere übliche Terminplanung gelegentlich mal überdenken?
3. Technologische Unterstützung
Die Nutzung von Übe-Dateien oder Übe-Apps gehört vielerorts inzwischen zum Alltag. Das entspannt die Proben, weil z. B. das schiere Lernen des Notentextes (zumindest teilweise) „ausgelagert“ werden kann. Hierzu finden Sie in dieser Ausgabe an anderer Stelle mehr. Wichtig jedoch: Es muss klar signalisiert werden, dass jemand bei Abwesenheit diese Mittel „erst recht“ nutzen muss, um Versäumtes nachzuholen!
4. Erweiterung oder Änderung der Probenzeiten
„Wie soll das gehen, mehr als einmal pro Woche zu proben?“ wird man nun fragen. Ich möchte hier jedoch auf die oben erwähnten Ferien zurückkommen: Abgesehen von den Sommer- und Weihnachtsferien machen viele Chöre auch in den Faschings-, Oster-, Pfingst- und Herbstferien Pause. Das sind zusätzliche sechs Wochen ohne Probe! Und wenn dann noch ungünstig gelegene Brückentage dazu kommen… Ich persönlich mache es daher so, dass „grundsätzlich“ (s. o.) in den genannten „kleinen“ Ferien Proben zum gewohnten Termin stattfinden – „verpflichtend“ für alle, die da sind. Das könnte man problemlos übernehmen (klären: Ist das Probenlokal, z. B. eine Schule, in dieser Zeit auch zugänglich?).
Sodann empfehle ich, regelmäßig (mindestens einmal im Jahr, besser öfter) Probentage bzw. Probenwochenenden (am besten in einer Tagungsstätte oder Akademie) zu planen. Das sind zwar zusätzliche Termine, „außerhalb“ auch mit Kosten verbunden, aber meine Erfahrung zeigt mir, dass solche konzentrierten Arbeitsphasen um ein Vielfaches effektiver sind als die „normalen“ Proben abends unter der Woche – alle sind ausgeruhter, und vor allem dann, wenn man sich „außerhalb“ trifft, tut es dem sozialen Zusammenhalt im Chor ausgesprochen gut. Es gibt sogar Chöre, die arbeiten immer in diesem Modus – oft recht ambitionierte Ensembles, deren Mitglieder zusätzlich in mehreren anderen Chören singen: Sie proben nicht wöchentlich, sondern z. B. nur einmal im Monat, aber dann ein ganzes Wochenende. Dies geht natürlich nur dann, wenn man konsequent nach dem Modus von Nr. 2 arbeitet.
5. „Backup“ in der Probenplanung
Was soll man nun aber als Chorleiterin oder Chorleiter tun, wenn trotz aller Vereinbarungen dennoch nur zwei Tenöre und vier Soprane da sind, wo man sich doch für den Abend endlich mal die achtstimmigen Passagen vorgenommen hat? Da hilft nichts anderes, als immer ein mögliches „Backup“ für die Probenplanung des Abends vorrätig zu haben, also kurzfristig etwas anderes zu proben. Wenn der Chor „gut erzogen“ ist, darf man ja hoffen, dass beim nächsten Mal dann wieder (fast) alle da sind…