Der schwäbische Gelegenheitsdichter Wilhelm Ganzhorn – der Schöpfer dieses bekannten Volksliedes
Wie im zurückliegenden Jahr wird auch heuer an dieser Stelle des Heftes an historische Ereignisse und an Persönlichkeiten aus der Sängerwelt erinnert. Den Anfang macht – passend zum Jahresanfang – ein Geburtstagsjubiläum.
Im schönsten Wiesengrunde…
„… liegt meiner Heimat Haus“ – mit dieser literarischen Naturidylle beginnt ein Heimatlied, das in einer Umfrage kürzlich zum beliebtesten deutschen Volkslied gewählt worden ist. Die Verse hat, wie das bei Volksgesängen ja häufiger der Fall ist, kein Profi-Lyriker geschmiedet, sondern ein Gelegenheitsdichter Wilhelm Ganzhorn. Ganzhorn, am 14. Januar 1818 in Böblingen geboren und in Sindelfingen aufgewachsen,
studierte von 1837 bis 1839 in Tübingen Rechtswissenschaften.
Ein lebenslustiger Mensch – Wein, Weib und Gesang
In der Universitäts- und Musenstadt pflegte der ebenso begabte wie sinnenfreudige Bursche neben dem Studium damals noch drei große Vorlieben: die Liebe zur Lyrik, die zum Wein und die Liebe zum anderen Geschlecht. Als Früchte dieser Tübinger Zeit sind denn auch ein von ihm zusammengestelltes „Schwäbisches Volkslieder-Buch“ mit rund 200 Liedern zu erwähnen, und ein uneheliches Kind.
Die bekannten Liedverse zum „schönsten Wiesengrunde“, mit denen sich Ganzhorn dauerhaft ein Plätzchen auf dem schwäbischen Parnass gesichert hat, schuf der lebensfrohe Verseschmied allerdings nicht als Student und auch nicht für ein Tübinger Gspusi, sondern erst viele Jahre später, als er gerade seine große Liebe gefunden hatte. Da arbeitete er bereits als Amtsrichter in Neuenbürg. Die junge Frau, die ihn in ihren Bann gezogen hatte, hieß Luise Alber und war die Tochter des Gastwirts vom Rössle in nahen Conweiler. Wilhelm hat sie dort ab 1851 oft besucht und schließlich am 18. Januar 1855 auch geheiratet.
Über das „stille Tal“ ist in der Vergangenheit viel gerätselt worden. Ein Biograph des Dichters bemerkte sogar einmal ironisch, es sei wohl nur noch bezüglich der Frage, wo das verschwundene Troja des Dichters Homer liege, mehr spekuliert worden als über die Frage, wo das „stille Tal“ des Herrn Ganzhorn zu finden sei. Sicher ist jedenfalls eines: Sein Gedicht hat der Jurist im November 1851 in Neuenbürg niedergeschrieben, zu einer Zeit, als er regelmäßig in Conweiler verkehrte. So liegt es natürlich nahe, dass er das gleich hinter dem Rössle liegende Tal gemeint haben könnte, in dem er damals oft mit seiner Liebsten spazieren gegangen ist. Ganzhorn selbst hat sich in dieser Frage übrigens nicht mit eindeutigen Äußerungen festgelegt. „Das Lied ist für alle Menschen geschrieben und daher möge jeder, der ein Heimattal besitzt, sein eigenes darin besingen“, meint ein Biograph, wohl auch im Sinne des Dichters. Ein salomonische Urteil, dem wir uns gerne anschließen.
Nur ein Gedicht-Ausschnitt
Ganzhorns Gedicht besteht eigentlich aus 13 Strophen, aber nur drei davon sind in das volkstümliche Lied übernommen worden. Die Melodie wiederum geht auf ein älteres Lied zurück: „Die Weise hat sich aus einer schon im 16. Jahrhundert in England bekannten Melodie entwickelt, die über Holland nach Deutschland gelangte“, heißt es in einer älteren Recherche. Um 1830 war die Melodie bei uns auch bei dem Lied „Drei Lilien, drei Lilien“ in Gebrauch.
1852 ist „Das stille Tal“ erstmals in einer „Liedersammlung für die Schule“ in Stuttgart erschienen. Von dort aus wurde es dann in weitere Schulliederbücher übernommen. In die Chorliteratur fand es erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts Eingang, u. a. durch einen Männerchorsatz, den Wilhelm Förstler, der damalige Leiter des Stuttgarter Liederkranzes, angefertigt hat.
Beliebt als Mensch und Richter
Ganzhorn, den seine Zeitgenossen als einen volksnahen und „milden Richter“ beurteilten, war eine vielseitige und überall sehr beliebte Persönlichkeit. Neben seinem Beruf widmete er sich außer der Literatur auch noch der Geschichte, der Heimatforschung und als Ausgräber von Altertümern der Archäologie. Da er „eine wunderbare Gabe für geistreiche Geselligkeit“ besaß, pflegte er einen großen Freundeskreis und besaß einen ausgesprochenen „Sinn für das Vereinsleben“. Für seine Liebe zum Wein war er geradezu berüchtigt, er galt als „trinkbarer Mann“. Ein Nachkomme berichtet von ihm, er sei aber keineswegs ein Trinker gewesen, er habe halt „nur mit Leib und mit Seele ge-
trunken“.
„Sterb ich, in Tales Grunde
will ich begraben sein,
singt mir zur letzten Stunde
beim Abendschein:
Dir, o stilles Tal,
Gruß zum letztenmal!“
– mit diesen Worten endet Ganzhorns Lied; und so ist es denn auch im September 1880 gekommen, als der poetische Amtsrichter an seinem letzten Wohnort in Cannstatt Schreibfeder und Weinglas für immer aus der Hand legen musste. Zwar hat man den sympathischen Lebemenschen nicht in „seinem“ stillen Tal zur Ruhe gebettet, sondern auf dem Cannstatter Uff-Kirchhof; den Wunsch aber, bei der Beisetzung die Klänge seines Heimatliedes zu singen, hat man ihm erfüllt. Der alte Grabstein mit dem Bildnis des Poeten aus weißem Marmor ist übrigens noch heute dort zu sehen, und – wer weiß – vielleicht wird man dort im Lauf des Jahres auch wieder einmal sein schönes Lied vernehmen können.
Zum 225. Geburtstag von Friedrich Glück
Ein anderes bekanntes Volkslied, das gelegentlich mit dem „Schönsten Wiesengrunde“ verwechselt wird, beginnt mit den Worten „In einem kühlen Grunde“; die Verse stammen von dem oberschlesischen Romantiker Joseph von Eichendorff, die Melodie vom Schornbacher Pfarrer Friedrich Glück (1793-1840); die Veröffentlichung des Liedes im Männerchorsatz wiederum hat schließlich Silcher besorgt.
Da dieses Jahr auch der 225. Geburtstag Friedrich Glücks ansteht, wird das Silcher Museum eine von Frau Hardtke erarbeitete Sonderausstellung über den Schornbacher Musiker-Pfarrer präsentieren. Der Arbeitstitel lautet: „Ich möcht‘ als Reiter fliegen wohl in die blut’ge Schlacht – Die Tragödie des Friedrich Glück“. Genaueres dazu im nächsten Heft und auf der Homepage des Museums.