Wie Musik auf den Euro geprägt wird.
Am 26. Juni kommt ein neues Zwei-Euro-Stück in Umlauf. Das Besondere daran: das von einer 15-jährigen Schülerin entworfene Münzbildmotiv entstammt der Welt des Chorgesangs.
Mit dieser Sonderprägung der Eesti Pank erinnern die Esten an den 150. Jahrestag ihres großen nationalen Liederfestes, des Üldlaulupidu. Die neue Münze erscheint pünktlich zum großen Jubiläumsfest. Die Sänger feiern es heuer vom 5. bis 7. Juli zusammen mit einem Tanzfestival (Tantsupidu) in Tallinn (dem ehemaligen Reval).
Estnische Laienchöre haben eine lange Tradition
Von der Existenz estnischer Laienchöre hören wir bereits seit 1828. Auch dass sie sich gelegentlich zu kleineren regionalen Treffen zusammenfanden, ist bekannt. Es waren zunächst vor allem die deutschbaltischen Liedertafeln wie z. B. der „Revaler Verein für Männergesang“, die das Laienchorwesen an der Ostseeküste bis hinauf nach St. Petersburg beflügelten.
1836 gab es ein erstes deutschbaltisches Liederfest in Riga, ab 1857 folgten solche Veranstaltungen in Reval, dem heutigen Tallinn. Ab 1865 traten aber auch vermehrt Vereine auf, die ein Chorwesen mit Liedern in estnischer Sprache propagierten.
Das erste gesamtestnische Sängertreffen ging dann im Sommer 1869 in Tartu über die Bühne. Die Vorbereitungen zu diesem Treffen waren nicht einfach, da hierzu die Genehmigung der russischen Verwaltung eingeholt werden musste. (Um das notorische Misstrauen der zaristischen Behörden zu überwinden, gaben die Veranstalter als offiziellen Anlass an, man wolle mit dem Fest den 50. Jahrestag der Abschaffung der Leibeigenschaft in Livland durch den russischen Zaren würdigen.)
Beim Üldlaulupidu 1869 waren nur Männerchöre zugelassen. Etwa 850 Sänger traten vor 15.000 Zuhörern auf – für die damaligen Verhältnisse eine durchaus beachtliche Zahlen. Das Fest in Tartu strahlte auch auf das benachbarte Lettland aus; 1873 ging dann dort eine eigene Tradition nationaler Liederfeste an den Start.
Inzwischen ist das Üldlaulupidu, das jetzt im Fünf-Jahres-Rhythmus in Tallinn stattfindet, weltweit einer der größten Events für Laienchöre. Und nicht nur das! 2008 hat die UNESCO die Lieder- und Tanzfeste der Esten, Letten und Litauer in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.
Singen als Teil der gemeinsamen kulturellen Identität war für die Esten immer auch ein Ausdruck des Wunsches nach Freiheit und Unabhängigkeit. Das wurde nicht zuletzt 1988 deutlich: Damals begann auf dem Liederfestplatz in Tallinn ein friedlicher Protest gegen das UDSSR-Regime, der weltweit Aufsehen erregte und als „Singende Revolution“ in die Geschichtsschreibung eingegangen ist.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass es gerade die Esten sind, die die bislang einzigen Geldmünzen zum Thema Gemeinschaftsgesang geprägt haben. Der neue Euro, auf dem wir vor schwingenden Notenlinien und tanzenden Noten drei enthusiastisch singende Gestalten sehen, ist bereits das zweite Zahlungsmittel, mit der die Esten an ihre Gesangstradition erinnern. Schon 1933 hat man zum 10. Üldlaulupidu eine 1- Kroon- Münze herausgegeben; sie ist allerdings noch ganz traditionell mit einer Lyra als Symbol gestaltet.
„… mein Reichtum, mein Gut und mein Geld“
Bei ihren frühen Sängerfesten mussten die Esten (wie auch die Letten und Litauer) zunächst auf jenes Liedgut zurückgreifen, das damals die deutschbaltischen Chorvereine pflegten. Noch beim Üldlaulupidu 1879 waren unter den 52 zur Aufführung vorgesehenen Stücken nur je zwei in estnischer und finnischer Sprache, der Rest in deutscher.
Auch Silcher gehört zur Tradition
Zum deutschsprachigen Repertoire der Chöre gehörten damals vor allem Volkslieder, u. a. die von Silcher. Julius Abel z. B., ein Schüler des Tübinger Musikdirektors, schreibt 1856 aus Ostpreußen, die Werke des Schwaben seien auch „im Norden“ sehr bekannt und erhielten auf Liederfesten sogar Preise in Wettgesang. Als Beispiele nennt er die „Loreley“ und das „Ännchen von Tharau“.
Mit Anna (Anke) Neander sind wir erneut im Ostseeraum. In Tharau (heute Wladimirowo im Kaliningrader Gebiet) hat die Pfarrestochter 1615 das Licht der Welt erblickt, in Insterburg ist sie 1689, nach einem bewegten Leben gestorben.
Ihre lyrische Verklärung fand Anna 1636 mit Simon Dachs Hochzeitsgedicht „Anke van Tharaw“, das Herder 1778 aus dem samländischen Dialekt ins Hochdeutsche übertragen hat. Musikalisch verewigt wurde sie schließlich 1827 von Friedrich Silcher; er schuf die bis heute populäre Melodie zu Herders Übertragung:
„Ännchen von Tharau ist´s die mir gefällt.
Sie ist mein Reichtum, mein Gut und mein Geld.“
Bereits 1912 wurde für Simon Dach im litauischen Klaipeda (ehemals Memel) ein Brunnen-Denkmal errichtet. Dessen Spitze ziert ein Bronze-Standbild des „Ännchens“. Im letzten Weltkrieg wurde die Anlage zwar zerstört, aber 1989 hat man sie wieder errichtet. Heute ist dieses literarisch-musikalische Denkmal ein „must“ einer jeden Sightseeing-Tour in der Stadt.
Rudolf Veit