Die Wiederbelebung einer (fast) vergessenen Gattung
20 Jahre lang war Joachim Schmid Musikalischer Leiter des Chorverband Karl Pfaff (CVKP). Das große Miteinander war im Gremium Musikbeirat immer Idee und Projekt. Fundiertes Wissen um die Chorszene ermöglichten viele Kooperationspräsentationen in zahlreichen Konstellationen. Eine umfangreiche Kooperations-Literaturliste entstand: aktuell, erprobt, gelebt und bei Joachim Schmid anzufragen. Der folgende Bericht soll erzählen und ermutigen!
„Männerchor plus“, unter dieses Motto hatte der Schwäbische Chorverband seinen Tag der Männerstimme 2011 gestellt. Da dieser in Nürtingen stattfand, war der CVKP als Regionalchorverband vor Ort in besonderer Weise gefordert. Außerhalb des bekannten Typs „Schule-Verein“ sollte er neue Modelle aus seinem Verbreitungsgebiet vorstellen. Erfahrungen in kleinen Formaten wurden bis dato schon einige gesammelt, jetzt aber galt es, diese zu bündeln und für die Zukunft in praktikablen Modellen darzubieten. Herausgekommen sind Verknüpfungen, die einzigartig waren und allen Mitwirkenden unvergessliche Momente bescherten. Was folgte, waren unzählige Auftritte bei Chortagen in Region und Land, Symposien, Fortbildungen im Auftrag des SCV und LMV, Bühnenwerke in kleiner (Kiga-Sommerfest) und großer Form (Musicals vor 1.200 Gästen). Großartiges auf Vereinsebene kann eben manchmal nur in Kooperation geschehen.
Was war in Nürtingen?
Männerchor und Kinderfußball
Unter dem Titel „Singen im Strafraum“ erarbeitete WFV-Fußballlehrer Martin Hägele eine ganzheitliche Trainingsmethode, die tänzerische Momente und Gesang miteinbezieht. Die Fußballjugend des TSV Wäldenbronn und der Männerchor Pfäffer des CVKP verbanden diese sportlichen und musischen Bausteine zum vokal-taktischen Bühnenwerk. Verwendet wurden dabei Fußballlieder aus dem Liederbuch des WFV und passende Gassenhauer.
Männerchor und Kindergarten/-tagesstätte
Basierend auf der Liedersammlung Kroko Tarrap (Uli Führe) gestalteten der Kindergarten Panti Großbettlingen und der ortsansässige Männerchor des TSuGV Großbettlingen eine sängerische Zirkusvorstellung für alle Generationen (Zirkus Paradiso, musikalische Einrichtung Joachim Schmid).
Männerchor und Knabenstimmen
Die typische Verknüpfung der Kooperationsliteratur: Männerchor mit Oberstimme: Ein Knabenprojektchor der Musikschule Kirchheim (Bertram Schattel) und der Musik- und Jugendkunstschule Stadt Nürtingen (Karin Maier) musizierten gemeinsam mit den Männerchören des Sängerbunds Neckartailfingen (J. Schmid) und der „Männersache“, Liederlust Ohmden (Bertram Schattel).
Männerchor und Jugendhilfeeinrichtung „Tragwerk“
Der professionelle Rapper Samadhi und die Sängerin Leonie Werz erarbeiten mit Jugendlichen spezielle Songs und Choreographien in der Kombination mit den Pfäffern als Backgroundchor.
Eine große Aufgabe wartete auf die Chorleiter und Musikpädagogen des Gastgebers CVKP. Unterstützend waren Sport- und Sozialpädagogen sowie Erzieherinne und Eltern im Einsatz. Eine nicht zu unterschätzende Komponente, die man in der Kooperation mit Kindern und Jugendlichen bedenken muss, ist deren Betreuung und die funktionierende Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen.
Knabenchöre und Kooperationsliteratur:
Knabenchöre gibt es schon seit über 1.200 Jahren. Sie hatten die Rundumversorgung der Sänger in ihren Statuten verankert, wenn auch die Motivation hauptsächlich die Heranbildung künftiger Kleriker war. Dass durch die Diskantlage der Knabenstimmen ein neues akustisches Klangbild im Chor entstand, war ein erfreulicher Nebeneffekt. Die bis heute gebräuchliche Stimmeinteilung in SATB wurde geboren.
Die direkten Vorbilder des heute in der Kooperationsliteratur favorisierten Chorsatzideals – SATTBB – finden wir in den Anfang des 19. Jahrhunderts gegründeten Lehrerseminaren. Musikalische Bildung war wesentlicher Bestandteil der Menschenbildung und blieb über viele Jahre Männersache. Seminaristenchöre übernahmen den Chorgesang in den Kirchen. Sie lagen hier voll im Trend der Zeit des aufblühenden Männerchorwesens. Deshalb war die logische Schlussfolgerung, dass neben dem Schuldienst der Dorfschulmeister die Leitung des örtlichen Männerchors übernahm.
In den Seminaren gehörten zwei gewichtige Lehrplaninhalte zur Ausbildung: Erstens, der aus Seminaristen bestehende Männerchor und zweitens, die methodische Auseinandersetzung mit der „Gesangsbildungslehre nach Pestalozzi“.
Es lag nahe, dass die Verquickung beider Ausbildungsschwerpunkte bald auf findige Komponisten treffen würde. Bis weit in die 1960er Jahre hinein entstanden nun Werke für die Gattung „Männerchor + Oberstimmen“. Die Anlässe waren meist an das Kirchenjahr oder den kommunalen Festkalender gebunden. Von Franz Biebl bis Paul Zoll fühlten sich viele namhafte Laienchorspezialisten diesem pädagogischen Genre verpflichtet.
Die Tatsache, dass ab den 70er Jahren die ersten Männerchöre in gemischte Formationen umstrukturiert werden mussten, der Kinderchor als eigenständige Gattung Fuß fasste und bei den Schulchören, Kantoreien und Konzertvereinigungen die Attraktivität der Programme ständig stieg, verschwand dieses einst gehegte und gepflegte Kleinod fast gänzlich aus den Programmen.
Neue Hörgewohnheiten, neue Chancen
Es bedurfte eines erneuten Anstoßes, der gängige Hörgewohnheiten überraschen sollte. Parallel zur Entwicklung der „Jungen Chöre“ merkte man bald, dass sich ein ausgewogenes Klangideal aufgrund fehlender Männerstimmen nicht erreichen ließ. Die Idee war nun, schwächelnde Männerchöre vereinsintern mit einer eigenständigen Aufgabe zu betrauen und als Stabilisator für ein klangliches Fundament zu sorgen. Tonsetzer mit Gespür für Stilistik und angenehmer Schlichtheit reagierten auf die Bedürfnisse mit ausgeklügeltem Wechsel der Stimmgruppen anstatt rhythmischen Endlospassagen. Uli Führe, Friedel Hary, Achim Rheinschmidt seien als erfahrene Arrangeure genannt. (Erfahrungswerte der Autoren: Halten Sie Rücksprache mit Verlagen/Arrangeuren, wenn Sie Literatur Ihrem Chor anpassen wollen – es hat sich über all die Jahre bewährt und zu singbaren Fassungen geführt).
Ganz nebenbei entführte man die als eigenständig singenden Kinderchöre in eine faszinierende Welt der Erwachsenenchöre, die klanglich attraktiv und wohlig abgerundet klingt. Das generationenübergreifende Singen ist eine Möglichkeit, gemeinsam Großes zu schaffen. Kooperation muss über viele Jahre gedeihen und mit immer wieder neuen Ideen bestückt werden. Dabei ist der „Chor der Eltern“ die jüngste Idee auf der Palette der Kooperationsangebote. Längst sind auch Frauenstimmen Teil des großen Kooperationskarussells.